6. Sorcha:
Farn
Die
Sonne schien hell durch die Zweige und es war warm. Fedon hatte sich auf
den Boden gelegt und ich saß neben ihm und lehnte mich an seine Seite.
Meine Haare hatte ich mit einem der Essstäbchen hochgesteckt, weil sie
mich störten. Ich hatte wieder Pilze gesucht und war gerade dabei sie
mit meinem großen Küchenmesser zu würfeln, als ein großer
Schmetterling an mir vorbeiflog.
Ich
sah ihn aus dem Augenwinkel, er war blau und ich hatte noch nie einen so
großen gesehen. Ich legte die Pilze auf den Boden und stand auf. Der
Schmetterling landete auf Fedons Mähne und ich beugte mich über ihn,
um den Flatterling besser sehen zu können. Fedon war eingeschlafen und
erwachte auch nicht, als ich eine Hand auf seine Seite legte.
In
diesem Moment hörte ich hinter mir eine Stimme, die drohend sagte:
„Leg das Messer weg, sofort!“
Ich
drehte mich langsam um und sah einen schlanken großen Mann, der mit
einem Pfeil auf seinem gespannten Bogen auf mich zielte. Sofort ließ
ich das Messer auf den Boden vor mir fallen, er hatte einfach die
besseren Argumente.
„Was
hast du getan?“ Er kam noch etwas näher, ließ mich aber nicht aus
den Augen.
„Ich
habe den Schmetterling beobachtet.“
In
diesem Moment erwachte Fedon. Er sah sich um, stand auf und stellte sich
zwischen mich und den Bogenschützen.
Der
ließ augenblicklich seinen Bogen sinken und steckte den Pfeil mit einer
geübten Bewegung zurück in den Köcher auf seinem Rücken. Dann
verbeugte er sich vor dem Einhorn und sagte: „Ich grüße euch Hüter
des Waldes. Ich bin gekommen um nach einer Aufgabe zu fragen. Kann ich
bis heute Abend bleiben um mit euch zu sprechen?“
Das
Einhorn nickte und verschwand dann im Wald. Der junge Mann verbeugte
sich auch vor mir und sagte dann: „Es tut mir leid, wenn ich dich
erschreckt habe, ich dachte du wolltest dem Einhorn etwas tun. Mein Name
ist Farn.“
„Ich
heiße Corvina und so leicht bin ich nicht zu erschrecken.“
„Was
machst du hier?“
„Ich
bin auf der Durchreise und du?“
„Ich
will mich für die Aufgabe anmelden.“
„Ach,
du bist ein Elf.“ Ich überlegte kurz und fragte: „Darf ich mal
deine Ohren sehen?“
„Was?“
fragte er fassungslos.
„Bitte,
ich habe noch nie einen Elf getroffen.“
„Du
übernachtest bei einem Einhorn, hast aber noch nie einen Elfen
gesehen?“
„Ich
stamme nicht von hier.“
„Na
gut.“ Er hob eine Hand und schob seine blonden Haare hinter sein Ohr.
Sie sahen genau so aus, wie ich mir Elfenohren vorgestellt hatte.
„Darf
ich deinen Bogen auch ansehen?“
Er
lachte und gab ihn mir. Dann sagte er: „Du bist der lustigste Mensch
den ich je getroffen habe.“
Ich
setzte mich auf den Boden und untersuchte den Bogen genau. Farn setzte
sich neben mich und legte sein Bündel auf den Boden vor sich. Dann
beobachtete er mich. Ich gab ihm seinen Bogen zurück und sagte: „Ich
wollte mir gerade etwas zu essen machen. Es stört dich doch nicht wenn
ich damit weitermache?“
„Nein,
natürlich nicht. Kann ich dir helfen?“
„Oh,
das ist nett von dir, aber es ist nicht mehr viel zu tun. Kannst du
schnitzen?“
„Ja,
warum?“
„Ich
brauche einen Löffel, hänge aber an meinen Fingern.“
„Ich
habe kein Schnitzmesser dabei.“
„Hier,
such dir eins aus.“ Ich zeigte ihm mein Sammelsurium an Messern und er
nahm mein Gemüsemesser mit Holzgriff und suchte sich ein passendes Stück
Holz. Er brauchte nicht lange um einen sehr schönen Löffel zu
schnitzen.
Am
Abend erschien Fedon und unterhielt sich mit Farn. Ich blieb draußen
beim Feuer und überlegte wie meine Reise weitergehen sollte. Auf jeden
Fall wollte ich versuchen meine Freundinnen zu finden, und sei es nur um
mich zu vergewissern, dass es ihnen gut ging.
Nach
nicht allzu langer Zeit erschienen Farn und Fedon am Eingang der Höhle.
Ich sah ihnen erwartungsvoll entgegen. Fedon fing meinen Blick auf und
sagte: „Das war nur das Vorgespräch, die Aufgabe holt er erst in 20
Tagen ab.“
„Och,
und ich war so neugierig.“
„Ich
dürfte dir wahrscheinlich sowieso nichts darüber erzählen.“ stellte
Farn fest und Fedon nickte.
Dann
fragte Farn: „Darf ich hier übernachten?“
Farn
lag schon schlafend im Lichtschein des Feuers als ich mich noch mit
Fedon in der Höhle unterhielt. Er stellte mir viele Fragen und gab mir
wertvolle Tipps, für ein Leben in dieser fremden Welt. Als ich ihm erzählte,
was ich in meine Kerze geritzt hatte, fragte er: „Und hast du es schon
ausprobiert?“
„Ja,
aber ich habe keine Ahnung wie es funktioniert.“
„Versuch
mal nach einer Kraft in deinem Inneren zu greifen. Hast du sie gefunden,
stellst du dir die Gestalt vor, die du annehmen willst und entspannst
dich. So funktioniert es jedenfalls bei mir.“
Während
ich mein Inneres absuchte, öffnete Fedon seine Truhe. Er entnahm ihr
ein großes Buch mit silbernem Umschlag, schlug es auf und begann zu
lesen.
Nach
einiger Zeit sagte er zu mir: „Es hat seit Jahrhunderten keinen
Gestaltwandler mehr gegeben. Aber was hier steht, wird dich
interessieren.“
Es
gab also Regeln. Man konnte sich nur in Säugetiere, Vögel und Fische
verwandeln, nur in ausgewachsene Tiere und man musste schon mal eins,
von der Art in die man sich verwandeln wollte, berührt haben. Rückverwandlungen
in die menschliche Gestalt funktionierten nur bei Vollmond, dem Tag
davor, dem danach oder in Anwesenheit einer göttlichen Macht.
Vorsichtshalber schrieb ich die Stelle ab.
Im
Verlauf der Nacht fand ich meine innere Kraft und ich schaffte es mich
in eine Katze zu verwandeln. Zum Glück zählte Fedon zu den Göttlichen
Wesen und ich konnte so lange probieren wie ich wollte.
Fedon
legte mir nahe, Farn zu den anderen Elfen zu begleiten und mich von dort
aus auf den weiteren Weg zu begeben. Ich konnte mir schlimmeres
vorstellen, als bei Elfen zu leben und hoffte, Farn war mit unserer Idee
einverstanden.
Er
war es. Ich durfte ihn begleiten.
Am
nächsten Morgen packte ich meine Sachen zusammen und verabschiedete
mich von Fedon. Dann folgte ich Farn in den Wald.
Unterwegs fragten wir uns gegenseitig aus. Ich wollte wissen
was Elfen von Menschen unterschied und er stellte mir netterweise eine
Liste auf. Elfen hatten Menschen gegenüber einige körperliche
Vorteile. Sie konnten sich schneller bewegen und besser sehen und hören,
als die meisten Menschen. Sie wurden nicht krank und sie konnten sehr
alt werden. Außerdem waren sie völlig unempfindlich gegenüber Hitze
und Kälte.
Auch
er fragte mich aus und ich erzählte ihm alles was er wissen wollte.
Besonders die technischen Errungenschaften interessierten ihn. Ich erzählte
ihm, was mir gerade einfiel und wir hatten viel Spaß.
Wir
liefen bereits einen halben Tag lang durch den Wald und ab und zu über
ein Feld oder eine Lichtung, als ich sagte: „Entschuldige, aber ich
brauche eine Pause.“
„In
Ordnung.“
Ich
setzte mich auf einen Baumstumpf und er lehnte sich an einen Baum. Ich
holte meine Wasserflasche hervor und trank sie halb leer. Dann bot ich
sie Farn an. Er war mehr an der Flasche interessiert als an ihrem
Inhalt.
„Was
ist das für ein Material?“
„Plastik.“
Er
trank ein paar Schluck Wasser und sah die Flasche noch einmal genauer
an. „Das ist ziemlich dünn, zerbricht es leicht?“
„Nein,
und dabei ist es leichter als Glas.“ Ich schlug die Flasche ein paar
mal gegen den Baumstumpf um die Bruchfestigkeit zu demonstrieren. Ich amüsierte
mich. Die Plastikflasche – eine Errungenschaft der Technik.
Nach
der Pause machten wir uns wieder auf den Weg. Am Abend erreichten wir
den Wohnort der Elfen und er sah anders aus als ich es mir vorgestellt
hatte.
Das
Lager der Elfen bestand aus zeltähnlichen Häusern, die auf einer
Lichtung angeordnet waren. In der Mitte der Lichtung stand ein langer
Tisch mit Bänken aus Baumstämmen. Farn ging zu einem der Zelte, blieb
davor stehen und nahm seinen Bogen von der Schulter. Er reichte ihn
Corvina.
„Würdest
du das kurz für mich halten?“
Sie
nickte und er schlug das Tuch vor dem Eingang zurück und schlüpfte in
das Zelt. Als er wieder herauskam begleitete ihn ein älterer Elf. Er
musterte Corvina und sagte dann: „Ich grüße dich, mein Name ist
Ysop, ich bin der Älteste.“
„Guten
Abend, ich bin Corvina.“ Ihr fiel nicht mehr ein, aber Farn sagte:
„Du
kannst bei uns bleiben, bis ich meine Aufgabe abhole, du kannst in
meinem Zelt schlafen.“ Ysop nickte.
„Das
ist sehr nett von euch.“ Corvina war erleichtert. Sie folgte Farn zu
seinem Zelt und trat hinter ihm ein. Von innen wirkte es viel größer
als von außen, aber es war sehr spartanisch eingerichtet. Ein Bett
stand an einer Seite und an der anderen eine Truhe. Ein kleiner Tisch
und ein Stuhl standen in der Mitte des Zeltes.
„Nett
hast du es hier.“ Corvina sah sich genauer um „Wohnst du allein?“
„Ja
sicher. Mit wem sollte ich denn zusammen wohnen?“ Farn wirkte etwas
erstaunt.
„Mit
einer Frau oder einem Freund oder mehreren. Bei uns ist das normal.“
Corvina überlegte kurz und fügte dann hinzu: „Allerdings gibt es in
meiner Welt keine Elfen.“
„Wohnst
du mit einem anderen Menschen zusammen?“
„Nein,
ich wohne lieber allein. Aber ich sehe meine Freunde fast jeden Tag und
manchmal übernachten sie auch bei mir.“
„Wir
leben allein oder mit unseren Partnerinnen und Kindern zusammen. Aber
natürlich nicht hier.“
„Wieso
nicht hier? Wo denn sonst?“
„Die
Elfenvölker stammen alle aus dem Norden. Nur wenige von uns sind nach Süden
gezogen um der Pflicht zu folgen. Hauptsächlich junge Elfen ohne feste
Bindung, es sind auch weibliche Elfen dabei, aber sie sind
Kriegerinnen.“
„Was
denn für eine Pflicht?“
„Wir
sind so etwas wie Wächter. Ich erkläre es dir ein anderes Mal. Die
Sonne ist untergegangen und ich bin müde. Du kannst in meinem Bett
schlafen. Ich lege mich hier auf den Boden.“
Am
nächste Morgen wirkte Farn müde, ich fragte ihn: „Hast du gut
geschlafen?“
„Ja,
aber zu kurz, ich war heute Nacht wach. Die Wildschweine haben in der Nähe
Fangen gespielt."
Später
fand ich heraus das Elfen gerne Schlafen. Bekommen sie nicht genug
Schlaf, verlieren sie ihre angeborenen Fähigkeiten, bis sie ihn
nachgeholt haben.
Ich
blieb einige Tage bei den Elfen und lernte viele neue Fertigkeiten. Farn
brachte mir Bogenschießen bei und als ich das erste Mal das Ziel traf,
freute er sich fast mehr als ich.
Ich
verstand mich auch mit den anderen Elfen gut und unterhielt mich mit
ihnen, aber Farn war eindeutig mein Lieblingself. Er erzählte mir wie
die göttlichen Drachen die Welt erschaffen und mit Leben besiedelt
hatten und warum er in den Süden gekommen war. Wir überlegten
gemeinsam, wie ich meine Freundinnen finden könnte und er hatte eine
Idee. Ich sollte mir einen Gefährten suchen, der mich auch in meiner
Tiergestalt verstand und mich auf der weiteren Reise begleiten könnte.
Ich
fühlte mich geschmeichelt als er sagte: „Ich würde dich gern selbst
begleiten, aber wegen der Aufgabe wird mir das leider nicht möglich
sein. Allerdings habe ich von einem Mann gehört, der dir sicher eine
Hilfe wäre. Ich frage Ysop ob er ihm eine Nachricht übermittelt, aber
du darfst ihm nicht verraten wie du auf ihn gekommen bist.“
Den
Grund verriet er mir allerdings nicht.
Farn
und ich verließen am gleichen Tag das Lager. Ich verabschiedete mich
von allen Elfen und bedankte mich noch einmal für ihre
Gastfreundschaft, dann umarmte ich Farn und machte mich auf den Weg in
die westliche Hafenstadt. Der Weg war mir beschrieben worden und ich
hatte eine Karte gezeichnet. Am Abend vorher hatte ich Farn meine
Wasserflasche geschenkt und er hatte sie gleich in sein Reisegepäck
eingegliedert. Ich bekam dafür einen Wasserschlauch aus Leder, der in
meinem Rucksack verschwand.
7.
Dorla: Vorbereitungen
Ich
bereitete alles vor. Meine Reisekleidung war in einer Truhe verstaut und
ich holte sie hervor und überprüfte ihren Zustand. Danach schärfte
ich meinen Dolch und steckte ihn in meinen Stiefel. Ich wusste, wen ich
fragen konnte ob er auf mein Haus und die Dorfbewohner achtete und ich würde
fünf Tage für den Hin- und Rückweg brauchen. Nachdem ich das Pferd
gesattelt und aufgezäumt hatte ging ich noch mal ins Haus. Der Prinz
erzählte gerade seinem Freund dass ich sie begleiten würde und Brand
war einverstanden und freute sich über meine Hilfe.
„Ich
reite ins Dorf und hole Konrad. Ich darf dein Pferd doch nehmen
Brand?“
„Ja
sicher. Bis nachher.“
„Bis
später, legt euch hin und ruht euch aus, ich bringe etwas zu essen
mit.“
Ich
ritt schnell ins Dorf. Als ich die Strasse hinunterritt kam Konrad mir
entgegen. Er griff nach den Zügeln und fragte besorgt: „Ist etwas
geschehen? Geht es ihnen schlechter?“ Ich sprang vom Pferd und sagte:
„Mach dir keine Sorgen, es geht den beiden gut. Ich muss für ein paar
Tage fort und wollte dich bitten nach ihnen zu sehen. Außerdem wollte
ich Fleisch kaufen und eine Köchin für die Zeit besorgen.“
„Wohin
willst du denn ausgerechnet jetzt gehen?“
„Das
können die beiden dir erklären, sie langweilen sich und du kannst sie
ablenken. Pack schon mal deine Sachen zusammen, ich hole dich auf dem Rückweg
ab.“
Er
nickte und rannte fast in Richtung Herberge. Ich machte mich wieder auf
den Weg zu Bauern. Am Tor traf ich Sophie, bei ihrer Lieblingsbeschäftigung.
Sie schwang auf dem Tor hin und her. Als sie mich sah, rannte sie auf
mich zu und quietschte: „Dorla, du kommst aber schnell wieder, hast du
mir etwas mitgebracht?“
„Ja
Sophie, das hatte ich dir doch versprochen. Ist deine Mutter wieder
da?“
„Ja,
Mama ist heute morgen wiedergekommen. Los komm mit, ich bringe dich zu
ihr.“
Sie
zerrte an meinem Kleid und führte mich ins Haus.
Vor
der Tür blieb ich stehen und sagte zu ihr: „Frag deine Mutter ob sie
herauskommen und mit mir sprechen will.“
Sie
hopste ins Haus und einige Augenblicke später stand ihre Mutter in der
Tür und wischte sich die Hände an ihrer Schürze ab. Sie lächelte
mich an: „Sei willkommen Dorla, wie kann ich dir helfen? Brauchst du
noch mehr Milch?“
„Nein,
ich brauche dich.“
„Was
soll ich tun?“
„Ich
habe zwei kranke Männer in meiner Hütte und brauche jemanden der nach
ihnen sieht und für sie kocht. Vorräte sind da und ich komme in spätestens
einer Woche wieder.“
„Kein
Problem, ich kann jeden Tag hinreiten und ihnen die Mahlzeiten bereiten.
Soll ich sonst noch etwas beachten?“
„Sie
dürfen sich beide nicht zu viel bewegen und achte bitte darauf dass sie
nicht jagen gehen. Wenn sie Fleisch wollen, schlachte ihnen ein Schaf.
Ich bezahle es dir, sobald ich wieder da bin.“
Ich
gab ihr danach noch ein paar Anweisungen und verabschiedete mich gerade
von ihr, als Sophie an meinem Kleid zupfte. Ihre großen Kinderaugen
sahen mich fragend an. Ich fasste in meine Tasche und gab ihr mein
Geschenk. Sie strahlte über das ganze Gesicht und zeigte es sofort
ihrer Mutter: „Mama sieh mal, eine Puppe, sieht sie nicht aus wie eine
Prinzessin?“
Ihr
Mutter strich ihr durch die Haare: „Ja, du hast recht. Sie ist
wunderschön.“
„Danke
Dorla“ Sophie umarmte mal wieder meine Beine und schoss dann davon um
die Puppe ihren Freunden zu zeigen.
„Das
wäre doch nicht nötig gewesen.“ Sagte ihre Mutter.
„Doch,
dass war es. Ich hatte es ihr versprochen. Ich habe die Puppe selbst genäht,
mit den besten Gedanken.“
„Ich
danke dir. Wann soll ich eigentlich das erste mal kommen?“
„Ich
gehe morgen nach dem Frühstück los. Soll ich dir das Pferd hier
lassen?“
„Nein
danke, ich habe ein Maultier, auf dem kann ich zu dir reiten.“
„Gut,
ich danke dir schon mal im Voraus für deine Mühe. Wir sehen uns bald
wieder.“
Ich
umarmte sie zum Abschied und ritt vom Hof. Auf dem Rückweg kaufte ich
Gebäck und Fleisch und holte Konrad ab. Er hatte seine Sachen gepackt
und erwartete mich auf dem Dorfplatz. Zusammen machten wir uns auf den
Weg.
Aus
den Kräutern, die Brand zermörsert hatte, stellte ich noch mehr von
der Creme für Marc her. Ich nahm ihm das Versprechen ab sie morgens und
abends aufzutragen und suchte dann mein Reisegepäck zusammen.
„Willst
du dir mein Pferd für den Weg leihen?“ fragte Brand.
„Nein,
ich muss durch den Wald, da komme ich ohne Pferd schneller voran.“
Ich
beschloss den Bogen und das Kurzschwert mitzunehmen. Außerdem entschied
ich mich gegen das Kleid und für meine alten Hosen. Da es zu regnen
anfing, kämmte ich meine Haare nicht wie gewöhnlich draußen, sondern
in der Hütte. Drei Augenpaare beobachteten mich.
„Habt
ihr noch nie gesehen wie sich jemand die Haare kämmt?“ Fragte ich in
das gebannte Schweigen. Alle drei schüttelten den Kopf und starrten
weiter.
„Jungs
das ist lächerlich.“
Ich steckte das Kopftuch wieder
über dem Zopf fest und sagte zu ihnen: „Ich werde einen Schutzzauber
um die Lichtung spinnen, den niemand der böse Gedanken hegt
durchdringen kann. Ihr solltet die Lichtung nicht verlassen und du Marc,
solltest noch nicht mal das Bett verlassen. Im Morgengrauen werde ich
mich auf den Weg machen.“
8. Sorcha:
Erst Gasthaus dann Tod
Es
machte nicht besonders viel Spaß allein durch den Wald zu wandern, aber
so viel unberührte Natur hatte ich vorher noch nie gesehen. Für
jemanden der so ungern spazieren ging wie ich, war es eine ganz schön
beschwerliche Tour und ich war froh, als ich am Abend das Dorf
erreichte, von dem die Elfen mir berichtet hatten.
Ich
strich den Rock glatt, den ich von einer Elfe bekommen hatte und öffnete
die Tür zum Gasthof. Lärm und verbrauchte Luft schlugen mir entgegen
als ich eintrat. Die Wirtin wälzte sich hinter der Theke hervor und
fragte mich breit lächelnd: „Kann ich dir helfen Herzchen?“
„Ich
brauche ein Zimmer für die Nacht, wenn es möglich ist ein
Einzelzimmer.“
„Kein
Problem. Übernachtung mit Frühstück kostet neun Silberlinge.“
„Ich
habe kein Silber, kann ich vielleicht hiermit bezahlen?“ Geld zu
besorgen stand ganz oben auf meiner Liste. Ich hielt ihr meine Ohrringe
hin.
Sie
warf einen Blick darauf und nickte, dann sagte sie: „Dafür gebe ich
dir auch noch einen Teller voll Eintopf als Abendessen.“
„Gut,
danke.“ Ich suchte mir einen Tisch und verhielt mich so unauffällig
wie möglich. Der Eintopf sah aus wie schon einmal gegessen, roch aber
angenehm nach Kräutern und schmeckte auch nicht schlecht. Das Brot das
ich dazubekam, steckte ich in meine Tasche. Nach dem Essen führte mich
die Wirtin in ein keines Zimmer mit einem Bett einem Tisch und einem
Stuhl.
Corvina
überlegte ob es nicht besser wäre auf dem Boden zu übernachten und
sie entschied sich dafür. Das Bett sah ihr zu sehr nach Läusen und Flöhen
aus. Sie stellte den Stuhl vor die Tür und verriegelte das Fenster.
Dann legte sie sich auf dem Boden schlafen.
Mitten
in der Nacht wachte sie auf. Irgendwer versuchte die Tür zu öffnen,
doch der Stuhl hatte den Riegel fest verkeilt. Corvina sprang auf und
griff in ihr Bündel. Mit einem Messer in der Hand schlich sie zur Tür
und stellte sich daneben auf, doch wer auch immer versucht hatte die Tür
zu öffnen gab es auf und trollte sich.
Sie
nahm das Messer mit ins Bett und schlief bis zum Morgengrauen. Übermüdet
packte sie ihre Sachen zusammen und ging die Treppe hinunter in den
Schankraum. Die Wirtin war gerade aufgestanden und brachte ihr sofort Frühstück.
Corvina ließ über die Hälfte davon in ihrem Bündel verschwinden,
morgens hatte sie nie Hunger. Nebenbei würgte sie ein paar Bissen Brot
hinunter. Die Milch trank sie allerdings ganz aus.
Ich
folgte der Straße, die Straße folgte einem Bach. Zwei Tage nachdem ich
bei den Elfen aufgebrochen war, hörte ich Stimmen vor mir. Ich wusste
selbst nicht warum, aber ich versteckte mich sofort im Unterholz und
wartete ab wer da kam.
Es
waren offensichtlich Räuber. Sie unterhielten sich über die Falle die
sie ahnungslosen Reisenden Gestellt hatten. Ich konnte also nicht auf
der Straße weitergehen ohne ihnen zu begegnen.
Corvina
wartete bis die zerlumpten Gestalten sich wieder entfernt hatten, lief
dann geradewegs in den Wald und stieß auf einen zweiten Bach. Mit Mühe
bahnte sie sich einen Weg an seinem Ufer entlang, bis sie auf einmal vor
einer kleinen Hütte stand. Ein kleiner Gemüsegarten befand sich an der
einen Seite der Hütte, an der anderen stand eine Bank. Corvina
versteckte ihr Bündel draußen und klopfte dann an die Tür. Eine dünne
Stimme rief leise: „Herein wenns kein Räuber ist.“
Corvina
öffnete langsam die quietschende Tür und trat ein. Eine kleine alte
Frau lag auf einem Bett und blickte sie aus klaren Augen an. Dann fragte
sie: „Was willst du von mir?“
„Ich
wollte fragen ob ich hier übernachten kann. Auf der Strasse sind Räuber
unterwegs und ich habe die Hütte gefunden als ich ihnen ausgewichen
bin."
„Tritt
näher Kind.“ Sie setzte sich halb auf und streckte eine Hand nach
Corvinas Arm aus.
Corvina
stellte sich neben das Bett und sah sich in der Hütte um: „Ich könnte
dafür das Abendessen zubereiten. Bezahlen kann ich leider nichts.“
„Ich
bin froh über ein wenig Gesellschaft. Du kannst gerne bleiben.“
Die
Alte sah aus als würde sie jeden Moment tot umfallen. Aber sie war sehr
freundlich. Ich setzte einen Topf auf den Herd und kochte eine Suppe. Während
es im Topf brodelte, räumte ich die Hütte auf. Die Alte beobachtete
mich die ganze Zeit und lächelte mich zwischendurch zahnlos an. Als die
Suppe fertig war, stellte ich fest, das sie nicht allein essen konnte,
also setzte ich mich zu ihr und half ihr.
„Du
bist ein nettes Kind.“
„Ach,
das mache ich doch gern.“
Sie
tat mir leid. Allein im Wald zu leben ist eine Sache, aber allein im
Wald zu sterben stellte ich mir nicht schön vor.
Ich
konnte ein Gähnen nicht unterdrücken und sie sagte: „Schlaf ruhig
mein Kind, hierher kommen die Räuber schon lange nicht mehr.“ Ich
legte meine Decke auf den Boden neben das Feuer und schlief bald ein.
Mitten
in der Nacht wachte ich auf. Ich war der Meinung Stimmen vor dem Haus
gehört zu haben. Dann hörte ich einen leisen Gesang. Ich griff nach
einem Messer und stellte mich schlafend, behielt dabei aber die Tür im
Auge. Der Gesang verstummte und die Tür öffnete sich geräuschlos.
Zwei Gestalten traten ein.
Zwei
junge Frauen kamen herein und gingen in Richtung Bett. Corvina hörte
wie der Atem der Alten schneller ging und wusste dass auch sie wach war.
Sie sprang mit dem Messer in der Hand auf und fragte: „Wer seid ihr
und was wollt ihr.“
„Sie
kann uns sehen!“
„Natürlich
sehe ich euch. Wer seid ihr?“
Die
Alte flüsterte: „Das Lied, der Schatten.“
Die
Schwarzhaarige strich ihr über das Gesicht und Corvina sah wie sich ein
milchiges Licht neben ihr zu einer Gestalt formte. Die alte Frau atmete
nicht mehr.
Der
milchige Schemen glitt zu Corvina und sie hörte eine Stimme wispern:
„Danke für deinen Besuch.“ Dann löste er sich auf und verschwand.
Die beiden Frauen waren allerdings noch da. Corvina wandte sich ihnen
zu.
„Ihr
seid der Tod?“ Sie nickten.
„Warum
kann ich euch sehen, werde ich auch sterben?“
Die
blonde antwortete: „Nein, keine Sorge. Wir wundern uns auch,
normalerweise sind wir während eines Auftrags unsichtbar.“
Die
andere griff durch die Wand: „Wir sind auch nicht sichtbar. Merkwürdig,
wir müssen den göttlichen Drachen fragen wie das sein kann.“
„Der
Auftrag ist ja nun erledigt.“ Sie stellten sich gegenüber, machten
beide eine komplizierte Handbewegung und auf einmal konnte Corvina sie
noch besser sehen.
„Oh,
ich glaube jetzt seid ihr wirklich sichtbar.“
Die
Dunkelhaarige grinste: „Ja sicher.“ Sie klopfte gegen das Holz durch
das sie vorher durchgegriffen hatte. „Dies ist unsere menschliche
Gestalt.“
„Stört
es dich wenn wir für den Rest der Nacht hier bleiben?“
„Mich
stört gar nichts mehr.“
Am
Morgen wachte ich auf und stellte zu meiner Freude fest, dass ich noch
lebte. Die beiden Frauen lagen neben mir und die Leiche der Alten lag
noch auf dem Bett. Ich stand auf und packte gerade meine Sachen
zusammen, als die blonde Frau aufwachte.
Sie
sagte: „Guten Morgen, hast du gut geschlafen?“ Als sie mein Gesicht
sah lachte sie „eine dumme Frage, wer schläft schon gut mit dem Tod
unter einem Dach und einer Leiche im Zimmer.“
Ich
fragte: „Hast du einen Namen oder soll ich dich mit Tod ansprechen?“
„Bloß
nicht, ich heiße Tune und das ist meine Freundin Shade.“
„Mein
Name ist Corvina. Möchtest du auch etwas Essen?“
Corvina
frühstückte mit Tune und Shade vor dem Haus und sie unterhielten sich.
Corvina erfuhr, wie es dazu gekommen war, dass Tune und Shade den alten
Tod abgelöst hatten und sie erzählte ihnen von ihrer Vergangenheit.
Als
sie sich gerade mit Tune über Bücher unterhielt, ging Shade kurz in
das Haus und kam mit einem kleinen Beutel voll Gold und Silber wieder
heraus.
„Das
müssten ihre gesamten Ersparnisse sein.“ stellte sie fest.
„Wir
sollten sie der Familie übergeben.“ schlug Corvina vor.
„Sie
hatte keine“, sagten Tune und Shade wie aus einem Mund.
Dann
fügte Tune hinzu: „Das ist einer der Gründe weswegen wir hierher
gekommen sind, sie sollte nicht völlig allein sterben. Kein Mensch
hatte mehr Interesse für sie. In solchen Fällen teilen wir das Geld
unter uns auf. Solange wir uns in unserer menschlichen Gestalt befinden,
haben wir auch menschliche Bedürfnisse und brauchen ab und zu Geld.“
„Und
außerdem bin ich gelernte Diebin, ich kann an keinem einsamen Goldstück
vorbei gehen.“ gestand Shade.
„Sie
hat sich sehr über deinen Besuch gefreut, du bekommst auch einen
Anteil.“ entschied Tune, Shade nickte. Sie teilte das Geld gerecht auf
und gaben Corvina den Beutel mit ihrem Anteil.
„Ich
schäme mich fast dafür das ich es nehme, aber ich kann es wirklich gut
gebrauchen.“
„Wir
werden sie begraben, du hast hier sicher schon mehr erlebt als dir lieb
ist und willst bestimmt deinen Weg fortsetzen.“
„Ja,
ich bin verabredet und muss morgen in der westlichen Hafenstadt sein.“
„Das
kannst du zu Fuß nicht schaffen. Das ist noch ein Zwei-Tages-Marsch.“
„Wer
sagte denn dass ich zu Fuß gehen will?“
Nach
einigen Erklärungen und Wegbeschreibungen verabschiedete ich mich von
den beiden und schnallte meinen Rucksack fest. Dann verwandelte ich mich
in einen Raben und flog in Richtung Stadt. Fliegen war klasse!
Ich
konnte die Stadt schon von weitem sehen, also landete ich etwas außerhalb
um die restliche Strecke zu Fuß zu gehen, als ich von einem Bauern
angesprochen wurde, der auf seinem Wagen an mir vorbeiratterte.
„Hey
Mädel, willste in die Stadt? Spring auf, ich nehm dich mit.“
Ich
bedankte mich artig und setzte mich hinten auf den Wagen. Offensichtlich
brachte der Bauer sein Gemüse zum Markt.
Er
erzählte mir wie das Wetter in den nächsten Tagen seiner Ansicht nach
werden würde, wie die Gemüsepreise standen und als wir in der Stadt
waren, schenkte er mir einen Kohlrabi zum Abschied.
Corvina
überlegte was sie in der Stadt tun sollte und beschloss, sich erst
einmal eine Unterkunft zu suchen.
Als
das erledigt war, ging sie sich auf dem Markt umsehen. Sie brauchte
dringend andere Kleidung.
An
einem Stand fand sie einen nachtblauen Umhang, der ihr sehr gut gefiel.
Sie feilschte mit dem Händler und bekam ihn für die Hälfte des zuerst
genannten Preises. Danach kaufte sie nur noch etwas Brot und ging dann
zurück in das Gasthaus, in dem sie ein Zimmer gemietet hatte. Sie
setzte sich an den Tisch und schrieb in ihr Tagebuch, was sie erlebt
hatte.
Ich
beschäftigte mich den ganzen Abend mit meinem Tagebuch. Da ich befürchtete
es könnte in die falschen Hände gelangen, machte ich einige
Eintragungen auf Englisch. Ich hatte festgestellt dass in dieser Welt
nur eine Sprache gesprochen wurde und fühlte mich so sicherer.
Als
ich am Morgen in die Gaststube trat, sagte mir die Wirtin es sei eine
Nachricht für mich gebracht worden. Sie gab mir ein Stück Pergament
und ich las es. Ich hatte noch etwas Zeit, also lief ich noch einmal
durch die Stadt. Am späten Nachmittag machte ich mich, in meinen Umhang
gehüllt, auf den Weg zum Treffpunkt.
Als
ich die Taverne von außen sah, hoffte ich aus ganzem Herzen, dass die
Nachricht auch wirklich angekommen war.
9.
Dorla: Aufbruch
Als
es hell wurde, war alles vorbereitet. Mein Rucksack stand fertig gepackt
vor der Tür und ich gürtete mein Schwert um. Ich verabschiedete mich
von meinen Gästen und machte mich auf den Weg durch den Wald.
Der
leichte Morgennebel verflog langsam und ich stapfte durch das tiefe
Laub. Als ich auf den Weg traf, beschleunigte ich meine Schritte. Wie
immer summte ich oder sang leise vor mich her. Ab und zu lauschte ich in
den Wald und beobachtete die Tiere, die ihren Tagesgeschäften
nachgingen. Ich fand einige Kräuter, die ich pflückte und mitnahm.
Gegen Mittag machte ich eine erste Pause und aß etwas von meinem
Proviant. Über den Tag verteilt machte ich noch einige Pausen und als
der Abend hereinbrach suchte ich mir einen trockenen Schlafplatz.
Die
beiden folgenden Tage vergingen ähnlich. Ich traf unterwegs niemanden,
allerdings ging ich Begegnungen auch aus dem Weg. Ich bemerkte einige Räuber,
die den Reisenden auf der Strasse auflauerten und umging sie in einem
weiten Kreis. Am Mittag des zweiten Tages verließ ich die Strasse und
suchte mir meinen Weg durchs Unterholz. Am Nachmittag erreichte ich mein
Ziel.
Auf
einer kleinen Lichtung mit einem See stand die kleine Holzhütte, in der
meine Freundin wohnte. Als ich auf die Lichtung trat, rannte auf einmal
ein riesiger Wolf auf mich zu. Ich blieb stehen und wartete ab. Kurz vor
mir bremste er seinen Angriff ab und knurrte mich laut an. Ich
beobachtete ihn weiter. Als sich sein Verhalten nicht änderte, kniete
ich mich vor ihn hin und streckte die Hand aus. Dann pustete ich ihn an.
Das Ergebnis war durchschlagend. Er hörte auf zu knurren, zog den
Schwanz ein und versteckte sich in den Büschen. Ich lachte und ging zur
Tür. Ich klopfte, aber es war niemand zu Hause.
Vor
dem Haus stand eine Bank und ich setzte mich darauf und wartete. Ich
suchte mir noch etwas zu essen aus meinem Rucksack und lockte auch den
Wolf wieder an. Er bekam etwas von meinem Schinken und seine Angst
verflog. Nach einiger Zeit hörte ich ein Rascheln hinter der Hütte und
Schritte die sich näherten. Dann trat sie um die Ecke.
„Dorla,
was machst du denn hier?“ Sie brach mir mit ihrer Umarmung fast die
Rippen.
„Hallo
Gwen, schön dich zu sehen. Ich brauche deine Hilfe.“ Presste ich mühsam
hervor.
„Ein
freundschaftlicher Besuch ohne Grund wäre wohl zuviel verlangt?“
„Du
könntest mich ja auch besuchen.“
„Da
hast du recht. Wie kann ich dir helfen? Komm doch rein.“
Ich
folgte Gwendolyn in das Innere der kleinen Hütte und erklärte ihr mein
Vorhaben.
„So,
du willst in die Welt hinausziehen und Abenteuer erleben und ich soll
auf Haus und Hof aufpassen und deiner Rückkehr harren?“
„Genau,
wirst du das für mich und die Dorfbewohner tun?“
„Sicher,
morgen früh können wir losziehen oder hast du es sehr eilig?“
„Nein,
liegt alles noch im Zeitplan.“
Meine
Freundin Gwendolyn war die Tochter einer Mondfee. Wölfe waren ihre
Lieblingstiere und sie hatte ihren momentanen Begleiter als Welpen im
Wald gefunden und aufgepäppelt. Da sie am liebsten Nachts unterwegs war
und das bei den meisten Menschen auf Misstrauen stieß, hatte auch sie
es vorgezogen allein im Wald zu leben. Der Mond verlieh ihr die
heilenden Kräfte, die sie für meine Zwecke so brauchbar machten.
Früh
am Morgen brachen wir auf. Wir brauchten etwas länger als ich auf dem
Hinweg, was hauptsächlich daran lag, das Gwendolyns Garderobe nur aus
langen, weißen Kleidern bestand, die sich ab und zu im Unterholz
verfingen. Unterwegs unterhielten wir uns ausgiebig und tauschten neue
Rezepte für Heiltränke und Tees aus.
„Hast
du eigentlich viel zu tun?“ Fragte sie mich.
„Nein,
die Dörfler sind eigentlich ziemlich robust und ich kümmere mich
meistens nur um meinen Garten und die Tiere in der Umgebung.“
„Ist
das nicht langweilig?“
Ich
warf ihr einen verwunderten Blick zu und sie lachte und sagte: „Du
hast ja recht, ich mache ja auch nichts anderes und langweile mich
trotzdem nie.“
„Wenn
mir langweilig ist, gehe ich abends zur Quelle und singe. Dann kommt
mein Freund Albus und ich habe jemanden zum reden.“
„Du
singst und dann kommt dein Freund? Das finde ich merkwürdig. Wohnt er
in der Nähe?“
„Er
ist ein Teil des Waldes und sehr alt.“ Ich lachte und sie musterte
mich.
„Seit
wann stehst du auf alte Männer?“
„Wer
redet von Männern? Er ist ein Einhorn.“
Sie
lachte: „Das sieht dir ähnlich. Wie hast du ihn kennen gelernt? –
Nein, lass mich raten, du bist singend durch den Wald gelaufen und er
sah nach, wer in sein Reich eingedrungen war.“
„So
ähnlich, aber er ist wirklich nur ein Freund. Ihr würdet euch sicher
gut verstehen, er verwandelt sich Nachts in einen Menschen.“
„Ich
kann ihn ja mal besuchen aber Singen sollte ich wohl besser nicht.“
Lachend
setzten wir unseren Weg fort.
Als
wir, spät abends, auf meiner Lichtung ankamen, sah Gwen sich um.
„Hier hat sich viel verändert, seit ich das letzte Mal hier war, aber
es wohnt ja auch keine alte Kräuterhexe mehr in dem Haus.“
„Nein,
aber eine junge.“
In
diesem Moment trat Konrad aus dem Haus. Er starrte Gwen an und so
stellte ich die beiden vor: „Gwendolyn, dies ist Konrad, ein Gesandter
des Königreiches des Ostens. Konrad, das ist meine Freundin Gwendolyn,
die mich während meiner Abwesenheit vertreten wird.“ Gwen reichte ihm
die Hand und sagte: „Ich freue mich euch kennen zu lernen.“
Konrad
brachte eine vollendete Verbeugung zustande und antwortete: „Die
Freude liegt ganz auf meiner Seite, Mylady.“
Da
die beiden sich offensichtlich gut verstanden, ging ich in Haus und sah
nach meinen Patienten. Sie schliefen beide. Ich weckte Brand und fragte:
„Na, wie geht es dir? Hast du noch Schmerzen?“
„Nein
habe ich nicht. Wann bist du gekommen?“
„Gerade
eben. Steh auf, ich will dich untersuchen.“ Er stand auf und zog sein
Hemd aus. Ich betastete seine Knochen und war zufrieden, alles war
restlos verheilt.
„Was
hast du in den letzten Tagen gemacht?“
„Nichts,
wie du mir befohlen hattest.“ Er lachte.
„Gut,
ab morgen wirst du trainieren, damit du wieder so beweglich wirst wie
vor deinem Zusammentreffen mit dem Pferd.“ Auf einmal ertönte ein
Lachen hinter mir. Marc war aufgewacht und stichelte: „Der war doch
noch nie beweglich, sonst wäre er dem Pferd ausgewichen.“
„Freut
mich das es dir besser geht. Du bist der nächste. Steh auf und zieh
dein Hemd aus.“
Brav
folgte er meinen Anweisungen. Ich tastete auch ihn ab und untersuchte
die Schulter. Eine helle Stelle zeigte noch wo der Pfeil eingedrungen
war, aber von dem Schnitt über den Rippen war nichts mehr zu sehen.
„Ich würde gerne eine zweite Meinung einholen, hast du etwas
dagegen?“
„Nein,
natürlich nicht.“
Ich
rief Gwen herein und stellte sie vor, dann bat ich sie Marc zu
untersuchen.
„Ist
sehr gut verheilt. Dir fehlt immer noch Kraft und die Schulter ist auch
etwas steif oder?“
Marc
nickte.
„Komm
mit nach draußen, dann bekommst du eine meiner Spezialbehandlungen.“
Im
Mondlicht hob sie ihre Arme erst zum Himmel und legte sie dann auf Marcs
Brust. Er atmete tief ein und sagte dann: „Ich konnte spüren wie die
Energie mich durchdrang. Ich fühle mich viel besser.“
„Das
bringt dir zwei Tage. Du kannst morgen ein wenig spazieren gehen, aber
wenn du dich schlecht fühlst, machst du sofort eine Pause.“
Gwen
stimmte mir zu. Ich schickte die Männer schlafen und setzte mich noch
mit Gwendolyn vors Haus. „Ich wünschte ich hätte deine Kräfte.“
„Die
hast du doch. Du kannst genau so gut heilen wie ich, vielleicht sogar
besser.“
„Ja,
aber es kostet mich eine Menge Energie und ich muss unheimlich viel
essen um nicht selber zum Pflegefall zu werden.“
„Ich
beziehe meine Kräfte direkt vom Mond. Das ist das Erbe meiner
Mutter.“
„Ja,
aber ich kann nicht auf das Blut meiner Vorfahren zurückgreifen.
Wahrscheinlich werde ich nie eine Quelle für unerschöpfliche Energie
finden.“
„Bestimmt
findest du irgendwann eine. Hoffentlich vergeht dir bis dahin nicht der
Hunger auf Nüsse und Honig.“
„Sehr
witzig. Danke für dein Mitgefühl.“ Lachend bereiteten wir unser
Lager vor und legten uns dann schlafen.
10. Torean:
Corvina
Ich
ging in die "Fliegende Schwalbe“, die einzige schwimmende Taverne
die ich kannte. Dem Geruch nach hätte sie eher "Sehr toter
Fisch" heißen sollen. Ich hatte eine Verabredung mit dem
Schicksal. Jemand, den ich überhaupt nicht kannte, wollte mich treffen
und hatte mir das über Umwege mitgeteilt, die selbst ich nicht zurückverfolgen
konnte. Allein das hatte mich neugierig gemacht.
In
der Taverne war ich bekannt und der Wirt nickte mir zu als ich durch die
Tür kam. Ich sah mich unauffällig um und suchte mir einen Platz. Die
üblichen Säufer scharten sich um die Bar, einige heruntergekommene Bürger
betrogen sich gegenseitig beim Kartenspiel und die Bedienung tat in
kurzen Röcken... nun ja, was Schankmädchen halt zu tun haben, wenn sie
Trinkgeld wollen.
Als
ich in die Taverne kam drehte sich mir fast der Magen um. Dass etwas so
stinken kann, obwohl es auf dem Wasser unterwegs war, war schier
unglaublich. Ich sah mich kurz nach einem freien Platz um und setzte
mich dann in die hinterste Ecke, weit fort von den Säufern und Schlägern.
Ich
behielt meinen Umhang an und zog die Kapuze noch etwas weiter in mein
Gesicht. Als ein Schankmädchen kam bestellte ich mit tiefer Stimme
einen Krug Wein, dabei beobachtete ich weiter meine Umgebung. Unter
einem freien Tisch, ein paar Schritte von mir entfernt, schlief ein von
Fliegen umschwirrter Hund. Jedenfalls hoffte ich das er schlief.
Ich
beobachtete die Gestalten die sich in dem Etablissement tummelten, und
wartete auf meine Verabredung.
Hoffentlich
kam er bald.
Ich
hatte meinen Kandidaten ausgemacht. Er saß in der hintersten Ecke und
trank Wein. Obwohl er eigentlich nicht wirklich trank. Bis jetzt hatte
er den Wein noch nicht angerührt. Es wunderte mich, dass noch niemand
anderes von ihm Notiz genommen hatte. Unauffällig ist ein Umhang im
Hochsommer jedenfalls nicht. Ich stand auf und ging hinüber. Das
Schwert steckte locker in seiner Scheide.
Er
kam auf mich zu. Ich hatte ihn nicht gesehen, weil die Spieler zwischen
uns saßen. Er blieb vor meinem Tisch stehen und ich sagte leise zu ihm:
"In meinem letzten Leben habe ich als Krieger mit euch
gerungen."
Und
er antwortete: "Und wir starben beide, ungeliebt, unbeweint und
unbesungen."
Ich
sah zu ihm auf. Er hatte blondes Haar, das so geschnitten war, das es
unter einen Helm passte und er trug eine Lederhose, ein weißes
Leinenhemd mit weiten Ärmeln und eine Lederweste. An seinem Gürtel
hing ein Schwert und in seinem Stiefel steckte sicherlich noch ein
Dolch.
"Setzt
euch doch bitte" sagte ich zu ihm. Und er tat es.
"Was
wollt ihr von mir?", war seine erste Frage und die war wirklich
nicht leicht zu beantworten.
Ich
ging zu dem Tisch und er sagte das Passwort, ich steuerte meinen Teil
dazu bei und er forderte mich auf, mich zu setzen.
Der
Mantel verhüllte ihn perfekt. Er hätte bis an die Zähne bewaffnet
sein können und man hätte es nicht gesehen. Nun, unbewaffnet war er
bestimmt nicht. Nur ein Tor würde unbewaffnet in so eine Spelunke
gehen.
Ich
setzte mich neben ihn, mit dem Rücken zur Wand, so dass ich alles im
Blick hatte und fragte ihn was er von mir wolle. Er bot mir seinen Wein
an und ich trank etwas davon, während er mir erzählte, dass er ein
Problem hätte, das nicht so leicht zu lösen und noch schwieriger zu
erklären wäre. Seine Stimme hatte einen merkwürdigen Klang und er
sprach mit einem unbekannten Akzent. Ich war so abgelenkt vom Klang
seiner Stimme, dass ich seine Frage erst beim zweiten Mal verstand.
Ich
wiederholte etwas lauter: "Gibt es ein angemesseneres Lokal in dem
wir uns unterhalten können? Hier stinkt es mir zu sehr!"
"Aber
ihr habt es doch vorgeschlagen!?"
"Aber
ich kannte es nicht, ich fand nur den Namen nett, er erinnerte mich an
ein Lied..."
Er
war einverstanden die "Fliegende Schwalbe" zu verlassen und so
zahlte ich meine Zeche und kurze Zeit später traten wir auf den Steg.
"Wohin
nun?" fragte ich als wir auf der Straße standen.
Er
wies in eine Richtung: "Dort entlang, die Nacht ist hell, wir können
uns draußen unterhalten."
"Es
ist wirklich heiß heute" sagte ich und legte meinen Umhang so,
dass er nur noch meinen Rücken verdeckte, dann schlug ich die Kapuze
zurück, "Seid ihr auch sicher, dass es hier für uns sicher ist?
Ich kenne mich in dieser Stadt nicht aus und ich werde nur ungern überf..."
Er
war stehen geblieben. Er war stehen geblieben und starrte mich an. Was
hatte das denn nun wieder zu bedeuten. "Was ist?" fragte ich.
Das
war kein Er, das war eine Sie. Und jetzt klang auch die Stimme nicht
mehr merkwürdig. Sie hatte sie bloß verstellt um in der Taverne nicht
aufzufallen. "Ihr seid eine Frau!" stammelte ich und wusste im
gleichen Moment dass das ziemlich beschränkt klingen musste.
"Gut
erkannt" sagte sie und klang dabei etwas gereizt. "Ändert das
irgend etwas?"
"Ich
weiß ja immer noch nicht worum es überhaupt geht... , braucht ihr
einen Leibwächter?" mutmaßte er, "dafür bin ich nicht zu
haben."
Sie
lächelte matt: "Nein, ich brauche keinen Leibwächter, ich kann
mich ziemlich gut selbst verteidigen, wenn es nötig ist. Aber ich
brauche jemanden der aufpasst dass mir keine Fehler unterlaufen, weil
ich mit den Sitten und Gebräuchen hier nicht vertraut bin. Ich kann gut
zahlen, aber bisher habe ich noch niemanden gefunden der meinen
Anforderungen entsprach. Aber von euch habe ich nur gutes gehört..."
"Von
wem?" fragte er.
"Ich
habe versprochen meine Quellen nicht zu verraten." antwortete sie.
"Wir
können nicht in eine Taverne gehen, ihr seid zu auffällig mit diesem
Mantel und ohne ihn wäre es noch schlimmer. Man kennt mich in dieser
Stadt und ich bin selten in Damenbegleitung anzutreffen." Er wirkte
unentschlossen.
"Nun,
wie wäre es, wenn wir in das Gasthaus gehen in dem ich Quartier bezogen
habe und uns auf meinem Zimmer unterhalten?" schlug sie vor.
Er
sah sie prüfend an: "In Ordnung, leihen sie mir den Mantel?"
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