Taverne / Teil 2

 

6. Sorcha: Farn

 

Die Sonne schien hell durch die Zweige und es war warm. Fedon hatte sich auf den Boden gelegt und ich saß neben ihm und lehnte mich an seine Seite. Meine Haare hatte ich mit einem der Essstäbchen hochgesteckt, weil sie mich störten. Ich hatte wieder Pilze gesucht und war gerade dabei sie mit meinem großen Küchenmesser zu würfeln, als ein großer Schmetterling an mir vorbeiflog.

Ich sah ihn aus dem Augenwinkel, er war blau und ich hatte noch nie einen so großen gesehen. Ich legte die Pilze auf den Boden und stand auf. Der Schmetterling landete auf Fedons Mähne und ich beugte mich über ihn, um den Flatterling besser sehen zu können. Fedon war eingeschlafen und erwachte auch nicht, als ich eine Hand auf seine Seite legte.

In diesem Moment hörte ich hinter mir eine Stimme, die drohend sagte: „Leg das Messer weg, sofort!“

Ich drehte mich langsam um und sah einen schlanken großen Mann, der mit einem Pfeil auf seinem gespannten Bogen auf mich zielte. Sofort ließ ich das Messer auf den Boden vor mir fallen, er hatte einfach die besseren Argumente.

„Was hast du getan?“ Er kam noch etwas näher, ließ mich aber nicht aus den Augen.

„Ich habe den Schmetterling beobachtet.“

In diesem Moment erwachte Fedon. Er sah sich um, stand auf und stellte sich zwischen mich und den Bogenschützen.

Der ließ augenblicklich seinen Bogen sinken und steckte den Pfeil mit einer geübten Bewegung zurück in den Köcher auf seinem Rücken. Dann verbeugte er sich vor dem Einhorn und sagte: „Ich grüße euch Hüter des Waldes. Ich bin gekommen um nach einer Aufgabe zu fragen. Kann ich bis heute Abend bleiben um mit euch zu sprechen?“

Das Einhorn nickte und verschwand dann im Wald. Der junge Mann verbeugte sich auch vor mir und sagte dann: „Es tut mir leid, wenn ich dich erschreckt habe, ich dachte du wolltest dem Einhorn etwas tun. Mein Name ist Farn.“

„Ich heiße Corvina und so leicht bin ich nicht zu erschrecken.“

„Was machst du hier?“

„Ich bin auf der Durchreise und du?“

„Ich will mich für die Aufgabe anmelden.“

„Ach, du bist ein Elf.“ Ich überlegte kurz und fragte: „Darf ich mal deine Ohren sehen?“

„Was?“ fragte er fassungslos.

„Bitte, ich habe noch nie einen Elf getroffen.“

„Du übernachtest bei einem Einhorn, hast aber noch nie einen Elfen gesehen?“

„Ich stamme nicht von hier.“

„Na gut.“ Er hob eine Hand und schob seine blonden Haare hinter sein Ohr. Sie sahen genau so aus, wie ich mir Elfenohren vorgestellt hatte.

„Darf ich deinen Bogen auch ansehen?“

Er lachte und gab ihn mir. Dann sagte er: „Du bist der lustigste Mensch den ich je getroffen habe.“

Ich setzte mich auf den Boden und untersuchte den Bogen genau. Farn setzte sich neben mich und legte sein Bündel auf den Boden vor sich. Dann beobachtete er mich. Ich gab ihm seinen Bogen zurück und sagte: „Ich wollte mir gerade etwas zu essen machen. Es stört dich doch nicht wenn ich damit weitermache?“

„Nein, natürlich nicht. Kann ich dir helfen?“

„Oh, das ist nett von dir, aber es ist nicht mehr viel zu tun. Kannst du schnitzen?“

„Ja, warum?“

„Ich brauche einen Löffel, hänge aber an meinen Fingern.“

„Ich habe kein Schnitzmesser dabei.“

„Hier, such dir eins aus.“ Ich zeigte ihm mein Sammelsurium an Messern und er nahm mein Gemüsemesser mit Holzgriff und suchte sich ein passendes Stück Holz. Er brauchte nicht lange um einen sehr schönen Löffel zu schnitzen.

 

Am Abend erschien Fedon und unterhielt sich mit Farn. Ich blieb draußen beim Feuer und überlegte wie meine Reise weitergehen sollte. Auf jeden Fall wollte ich versuchen meine Freundinnen zu finden, und sei es nur um mich zu vergewissern, dass es ihnen gut ging.

Nach nicht allzu langer Zeit erschienen Farn und Fedon am Eingang der Höhle. Ich sah ihnen erwartungsvoll entgegen. Fedon fing meinen Blick auf und sagte: „Das war nur das Vorgespräch, die Aufgabe holt er erst in 20 Tagen ab.“

„Och, und ich war so neugierig.“

„Ich dürfte dir wahrscheinlich sowieso nichts darüber erzählen.“ stellte Farn fest und Fedon nickte.

Dann fragte Farn: „Darf ich hier übernachten?“

 

Farn lag schon schlafend im Lichtschein des Feuers als ich mich noch mit Fedon in der Höhle unterhielt. Er stellte mir viele Fragen und gab mir wertvolle Tipps, für ein Leben in dieser fremden Welt. Als ich ihm erzählte, was ich in meine Kerze geritzt hatte, fragte er: „Und hast du es schon ausprobiert?“

„Ja, aber ich habe keine Ahnung wie es funktioniert.“

„Versuch mal nach einer Kraft in deinem Inneren zu greifen. Hast du sie gefunden, stellst du dir die Gestalt vor, die du annehmen willst und entspannst dich. So funktioniert es jedenfalls bei mir.“

Während ich mein Inneres absuchte, öffnete Fedon seine Truhe. Er entnahm ihr ein großes Buch mit silbernem Umschlag, schlug es auf und begann zu lesen.

Nach einiger Zeit sagte er zu mir: „Es hat seit Jahrhunderten keinen Gestaltwandler mehr gegeben. Aber was hier steht, wird dich interessieren.“

 

Es gab also Regeln. Man konnte sich nur in Säugetiere, Vögel und Fische verwandeln, nur in ausgewachsene Tiere und man musste schon mal eins, von der Art in die man sich verwandeln wollte, berührt haben. Rückverwandlungen in die menschliche Gestalt funktionierten nur bei Vollmond, dem Tag davor, dem danach oder in Anwesenheit einer göttlichen Macht. Vorsichtshalber schrieb ich die Stelle ab.

 

Im Verlauf der Nacht fand ich meine innere Kraft und ich schaffte es mich in eine Katze zu verwandeln. Zum Glück zählte Fedon zu den Göttlichen Wesen und ich konnte so lange probieren wie ich wollte.

Fedon legte mir nahe, Farn zu den anderen Elfen zu begleiten und mich von dort aus auf den weiteren Weg zu begeben. Ich konnte mir schlimmeres vorstellen, als bei Elfen zu leben und hoffte, Farn war mit unserer Idee einverstanden.

 

Er war es. Ich durfte ihn begleiten.

 

Am nächsten Morgen packte ich meine Sachen zusammen und verabschiedete mich von Fedon. Dann folgte ich Farn in den Wald.

 Unterwegs fragten wir uns gegenseitig aus. Ich wollte wissen was Elfen von Menschen unterschied und er stellte mir netterweise eine Liste auf. Elfen hatten Menschen gegenüber einige körperliche Vorteile. Sie konnten sich schneller bewegen und besser sehen und hören, als die meisten Menschen. Sie wurden nicht krank und sie konnten sehr alt werden. Außerdem waren sie völlig unempfindlich gegenüber Hitze und Kälte.

Auch er fragte mich aus und ich erzählte ihm alles was er wissen wollte. Besonders die technischen Errungenschaften interessierten ihn. Ich erzählte ihm, was mir gerade einfiel und wir hatten viel Spaß.

Wir liefen bereits einen halben Tag lang durch den Wald und ab und zu über ein Feld oder eine Lichtung, als ich sagte: „Entschuldige, aber ich brauche eine Pause.“

„In Ordnung.“

Ich setzte mich auf einen Baumstumpf und er lehnte sich an einen Baum. Ich holte meine Wasserflasche hervor und trank sie halb leer. Dann bot ich sie Farn an. Er war mehr an der Flasche interessiert als an ihrem Inhalt.

„Was ist das für ein Material?“

„Plastik.“

Er trank ein paar Schluck Wasser und sah die Flasche noch einmal genauer an. „Das ist ziemlich dünn, zerbricht es leicht?“

„Nein, und dabei ist es leichter als Glas.“ Ich schlug die Flasche ein paar mal gegen den Baumstumpf um die Bruchfestigkeit zu demonstrieren. Ich amüsierte mich. Die Plastikflasche – eine Errungenschaft der Technik.

Nach der Pause machten wir uns wieder auf den Weg. Am Abend erreichten wir den Wohnort der Elfen und er sah anders aus als ich es mir vorgestellt hatte.

 

Das Lager der Elfen bestand aus zeltähnlichen Häusern, die auf einer Lichtung angeordnet waren. In der Mitte der Lichtung stand ein langer Tisch mit Bänken aus Baumstämmen. Farn ging zu einem der Zelte, blieb davor stehen und nahm seinen Bogen von der Schulter. Er reichte ihn Corvina.

„Würdest du das kurz für mich halten?“

Sie nickte und er schlug das Tuch vor dem Eingang zurück und schlüpfte in das Zelt. Als er wieder herauskam begleitete ihn ein älterer Elf. Er musterte Corvina und sagte dann: „Ich grüße dich, mein Name ist Ysop, ich bin der Älteste.“

„Guten Abend, ich bin Corvina.“ Ihr fiel nicht mehr ein, aber Farn sagte:

„Du kannst bei uns bleiben, bis ich meine Aufgabe abhole, du kannst in meinem Zelt schlafen.“ Ysop nickte.

„Das ist sehr nett von euch.“ Corvina war erleichtert. Sie folgte Farn zu seinem Zelt und trat hinter ihm ein. Von innen wirkte es viel größer als von außen, aber es war sehr spartanisch eingerichtet. Ein Bett stand an einer Seite und an der anderen eine Truhe. Ein kleiner Tisch und ein Stuhl standen in der Mitte des Zeltes.

„Nett hast du es hier.“ Corvina sah sich genauer um „Wohnst du allein?“

„Ja sicher. Mit wem sollte ich denn zusammen wohnen?“ Farn wirkte etwas erstaunt.

„Mit einer Frau oder einem Freund oder mehreren. Bei uns ist das normal.“ Corvina überlegte kurz und fügte dann hinzu: „Allerdings gibt es in meiner Welt keine Elfen.“

„Wohnst du mit einem anderen Menschen zusammen?“

„Nein, ich wohne lieber allein. Aber ich sehe meine Freunde fast jeden Tag und manchmal übernachten sie auch bei mir.“

„Wir leben allein oder mit unseren Partnerinnen und Kindern zusammen. Aber natürlich nicht hier.“

„Wieso nicht hier? Wo denn sonst?“

„Die Elfenvölker stammen alle aus dem Norden. Nur wenige von uns sind nach Süden gezogen um der Pflicht zu folgen. Hauptsächlich junge Elfen ohne feste Bindung, es sind auch weibliche Elfen dabei, aber sie sind Kriegerinnen.“

„Was denn für eine Pflicht?“

„Wir sind so etwas wie Wächter. Ich erkläre es dir ein anderes Mal. Die Sonne ist untergegangen und ich bin müde. Du kannst in meinem Bett schlafen. Ich lege mich hier auf den Boden.“

 

Am nächste Morgen wirkte Farn müde, ich fragte ihn: „Hast du gut geschlafen?“

„Ja, aber zu kurz, ich war heute Nacht wach. Die Wildschweine haben in der Nähe Fangen gespielt."

Später fand ich heraus das Elfen gerne Schlafen. Bekommen sie nicht genug Schlaf, verlieren sie ihre angeborenen Fähigkeiten, bis sie ihn nachgeholt haben.

Ich blieb einige Tage bei den Elfen und lernte viele neue Fertigkeiten. Farn brachte mir Bogenschießen bei und als ich das erste Mal das Ziel traf, freute er sich fast mehr als ich.

Ich verstand mich auch mit den anderen Elfen gut und unterhielt mich mit ihnen, aber Farn war eindeutig mein Lieblingself. Er erzählte mir wie die göttlichen Drachen die Welt erschaffen und mit Leben besiedelt hatten und warum er in den Süden gekommen war. Wir überlegten gemeinsam, wie ich meine Freundinnen finden könnte und er hatte eine Idee. Ich sollte mir einen Gefährten suchen, der mich auch in meiner Tiergestalt verstand und mich auf der weiteren Reise begleiten könnte.

Ich fühlte mich geschmeichelt als er sagte: „Ich würde dich gern selbst begleiten, aber wegen der Aufgabe wird mir das leider nicht möglich sein. Allerdings habe ich von einem Mann gehört, der dir sicher eine Hilfe wäre. Ich frage Ysop ob er ihm eine Nachricht übermittelt, aber du darfst ihm nicht verraten wie du auf ihn gekommen bist.“

Den Grund verriet er mir allerdings nicht.

 

Farn und ich verließen am gleichen Tag das Lager. Ich verabschiedete mich von allen Elfen und bedankte mich noch einmal für ihre Gastfreundschaft, dann umarmte ich Farn und machte mich auf den Weg in die westliche Hafenstadt. Der Weg war mir beschrieben worden und ich hatte eine Karte gezeichnet. Am Abend vorher hatte ich Farn meine Wasserflasche geschenkt und er hatte sie gleich in sein Reisegepäck eingegliedert. Ich bekam dafür einen Wasserschlauch aus Leder, der in meinem Rucksack verschwand.

 

 

7. Dorla: Vorbereitungen

 

Ich bereitete alles vor. Meine Reisekleidung war in einer Truhe verstaut und ich holte sie hervor und überprüfte ihren Zustand. Danach schärfte ich meinen Dolch und steckte ihn in meinen Stiefel. Ich wusste, wen ich fragen konnte ob er auf mein Haus und die Dorfbewohner achtete und ich würde fünf Tage für den Hin- und Rückweg brauchen. Nachdem ich das Pferd gesattelt und aufgezäumt hatte ging ich noch mal ins Haus. Der Prinz erzählte gerade seinem Freund dass ich sie begleiten würde und Brand war einverstanden und freute sich über meine Hilfe.

„Ich reite ins Dorf und hole Konrad. Ich darf dein Pferd doch nehmen Brand?“

„Ja sicher. Bis nachher.“

„Bis später, legt euch hin und ruht euch aus, ich bringe etwas zu essen mit.“

Ich ritt schnell ins Dorf. Als ich die Strasse hinunterritt kam Konrad mir entgegen. Er griff nach den Zügeln und fragte besorgt: „Ist etwas geschehen? Geht es ihnen schlechter?“ Ich sprang vom Pferd und sagte: „Mach dir keine Sorgen, es geht den beiden gut. Ich muss für ein paar Tage fort und wollte dich bitten nach ihnen zu sehen. Außerdem wollte ich Fleisch kaufen und eine Köchin für die Zeit besorgen.“

„Wohin willst du denn ausgerechnet jetzt gehen?“

„Das können die beiden dir erklären, sie langweilen sich und du kannst sie ablenken. Pack schon mal deine Sachen zusammen, ich hole dich auf dem Rückweg ab.“

Er nickte und rannte fast in Richtung Herberge. Ich machte mich wieder auf den Weg zu Bauern. Am Tor traf ich Sophie, bei ihrer Lieblingsbeschäftigung. Sie schwang auf dem Tor hin und her. Als sie mich sah, rannte sie auf mich zu und quietschte: „Dorla, du kommst aber schnell wieder, hast du mir etwas mitgebracht?“

„Ja Sophie, das hatte ich dir doch versprochen. Ist deine Mutter wieder da?“

„Ja, Mama ist heute morgen wiedergekommen. Los komm mit, ich bringe dich zu ihr.“

Sie zerrte an meinem Kleid und führte mich ins Haus.

Vor der Tür blieb ich stehen und sagte zu ihr: „Frag deine Mutter ob sie herauskommen und mit mir sprechen will.“

Sie hopste ins Haus und einige Augenblicke später stand ihre Mutter in der Tür und wischte sich die Hände an ihrer Schürze ab. Sie lächelte mich an: „Sei willkommen Dorla, wie kann ich dir helfen? Brauchst du noch mehr Milch?“

„Nein, ich brauche dich.“

„Was soll ich tun?“

„Ich habe zwei kranke Männer in meiner Hütte und brauche jemanden der nach ihnen sieht und für sie kocht. Vorräte sind da und ich komme in spätestens einer Woche wieder.“

„Kein Problem, ich kann jeden Tag hinreiten und ihnen die Mahlzeiten bereiten. Soll ich sonst noch etwas beachten?“

„Sie dürfen sich beide nicht zu viel bewegen und achte bitte darauf dass sie nicht jagen gehen. Wenn sie Fleisch wollen, schlachte ihnen ein Schaf. Ich bezahle es dir, sobald ich wieder da bin.“

Ich gab ihr danach noch ein paar Anweisungen und verabschiedete mich gerade von ihr, als Sophie an meinem Kleid zupfte. Ihre großen Kinderaugen sahen mich fragend an. Ich fasste in meine Tasche und gab ihr mein Geschenk. Sie strahlte über das ganze Gesicht und zeigte es sofort ihrer Mutter: „Mama sieh mal, eine Puppe, sieht sie nicht aus wie eine Prinzessin?“

Ihr Mutter strich ihr durch die Haare: „Ja, du hast recht. Sie ist wunderschön.“

„Danke Dorla“ Sophie umarmte mal wieder meine Beine und schoss dann davon um die Puppe ihren Freunden zu zeigen.

„Das wäre doch nicht nötig gewesen.“ Sagte ihre Mutter.

„Doch, dass war es. Ich hatte es ihr versprochen. Ich habe die Puppe selbst genäht, mit den besten Gedanken.“

„Ich danke dir. Wann soll ich eigentlich das erste mal kommen?“

„Ich gehe morgen nach dem Frühstück los. Soll ich dir das Pferd hier lassen?“

„Nein danke, ich habe ein Maultier, auf dem kann ich zu dir reiten.“

„Gut, ich danke dir schon mal im Voraus für deine Mühe. Wir sehen uns bald wieder.“

Ich umarmte sie zum Abschied und ritt vom Hof. Auf dem Rückweg kaufte ich Gebäck und Fleisch und holte Konrad ab. Er hatte seine Sachen gepackt und erwartete mich auf dem Dorfplatz. Zusammen machten wir uns auf den Weg.

 

Aus den Kräutern, die Brand zermörsert hatte, stellte ich noch mehr von der Creme für Marc her. Ich nahm ihm das Versprechen ab sie morgens und abends aufzutragen und suchte dann mein Reisegepäck zusammen.

„Willst du dir mein Pferd für den Weg leihen?“ fragte Brand.

„Nein, ich muss durch den Wald, da komme ich ohne Pferd schneller voran.“

Ich beschloss den Bogen und das Kurzschwert mitzunehmen. Außerdem entschied ich mich gegen das Kleid und für meine alten Hosen. Da es zu regnen anfing, kämmte ich meine Haare nicht wie gewöhnlich draußen, sondern in der Hütte. Drei Augenpaare beobachteten mich.

„Habt ihr noch nie gesehen wie sich jemand die Haare kämmt?“ Fragte ich in das gebannte Schweigen. Alle drei schüttelten den Kopf und starrten weiter.

„Jungs das ist lächerlich.“

Ich steckte das Kopftuch wieder über dem Zopf fest und sagte zu ihnen: „Ich werde einen Schutzzauber um die Lichtung spinnen, den niemand der böse Gedanken hegt durchdringen kann. Ihr solltet die Lichtung nicht verlassen und du Marc, solltest noch nicht mal das Bett verlassen. Im Morgengrauen werde ich mich auf den Weg machen.“

 

 

8. Sorcha: Erst Gasthaus dann Tod

 

Es machte nicht besonders viel Spaß allein durch den Wald zu wandern, aber so viel unberührte Natur hatte ich vorher noch nie gesehen. Für jemanden der so ungern spazieren ging wie ich, war es eine ganz schön beschwerliche Tour und ich war froh, als ich am Abend das Dorf erreichte, von dem die Elfen mir berichtet hatten.

Ich strich den Rock glatt, den ich von einer Elfe bekommen hatte und öffnete die Tür zum Gasthof. Lärm und verbrauchte Luft schlugen mir entgegen als ich eintrat. Die Wirtin wälzte sich hinter der Theke hervor und fragte mich breit lächelnd: „Kann ich dir helfen Herzchen?“

„Ich brauche ein Zimmer für die Nacht, wenn es möglich ist ein Einzelzimmer.“

„Kein Problem. Übernachtung mit Frühstück kostet neun Silberlinge.“

„Ich habe kein Silber, kann ich vielleicht hiermit bezahlen?“ Geld zu besorgen stand ganz oben auf meiner Liste. Ich hielt ihr meine Ohrringe hin.

Sie warf einen Blick darauf und nickte, dann sagte sie: „Dafür gebe ich dir auch noch einen Teller voll Eintopf als Abendessen.“

„Gut, danke.“ Ich suchte mir einen Tisch und verhielt mich so unauffällig wie möglich. Der Eintopf sah aus wie schon einmal gegessen, roch aber angenehm nach Kräutern und schmeckte auch nicht schlecht. Das Brot das ich dazubekam, steckte ich in meine Tasche. Nach dem Essen führte mich die Wirtin in ein keines Zimmer mit einem Bett einem Tisch und einem Stuhl.

 

Corvina überlegte ob es nicht besser wäre auf dem Boden zu übernachten und sie entschied sich dafür. Das Bett sah ihr zu sehr nach Läusen und Flöhen aus. Sie stellte den Stuhl vor die Tür und verriegelte das Fenster. Dann legte sie sich auf dem Boden schlafen.

Mitten in der Nacht wachte sie auf. Irgendwer versuchte die Tür zu öffnen, doch der Stuhl hatte den Riegel fest verkeilt. Corvina sprang auf und griff in ihr Bündel. Mit einem Messer in der Hand schlich sie zur Tür und stellte sich daneben auf, doch wer auch immer versucht hatte die Tür zu öffnen gab es auf und trollte sich.

Sie nahm das Messer mit ins Bett und schlief bis zum Morgengrauen. Übermüdet packte sie ihre Sachen zusammen und ging die Treppe hinunter in den Schankraum. Die Wirtin war gerade aufgestanden und brachte ihr sofort Frühstück. Corvina ließ über die Hälfte davon in ihrem Bündel verschwinden, morgens hatte sie nie Hunger. Nebenbei würgte sie ein paar Bissen Brot hinunter. Die Milch trank sie allerdings ganz aus.

 

Ich folgte der Straße, die Straße folgte einem Bach. Zwei Tage nachdem ich bei den Elfen aufgebrochen war, hörte ich Stimmen vor mir. Ich wusste selbst nicht warum, aber ich versteckte mich sofort im Unterholz und wartete ab wer da kam.

Es waren offensichtlich Räuber. Sie unterhielten sich über die Falle die sie ahnungslosen Reisenden Gestellt hatten. Ich konnte also nicht auf der Straße weitergehen ohne ihnen zu begegnen.

 

Corvina wartete bis die zerlumpten Gestalten sich wieder entfernt hatten, lief dann geradewegs in den Wald und stieß auf einen zweiten Bach. Mit Mühe bahnte sie sich einen Weg an seinem Ufer entlang, bis sie auf einmal vor einer kleinen Hütte stand. Ein kleiner Gemüsegarten befand sich an der einen Seite der Hütte, an der anderen stand eine Bank. Corvina versteckte ihr Bündel draußen und klopfte dann an die Tür. Eine dünne Stimme rief leise: „Herein wenns kein Räuber ist.“

Corvina öffnete langsam die quietschende Tür und trat ein. Eine kleine alte Frau lag auf einem Bett und blickte sie aus klaren Augen an. Dann fragte sie: „Was willst du von mir?“

„Ich wollte fragen ob ich hier übernachten kann. Auf der Strasse sind Räuber unterwegs und ich habe die Hütte gefunden als ich ihnen ausgewichen bin."

„Tritt näher Kind.“ Sie setzte sich halb auf und streckte eine Hand nach Corvinas Arm aus.

Corvina stellte sich neben das Bett und sah sich in der Hütte um: „Ich könnte dafür das Abendessen zubereiten. Bezahlen kann ich leider nichts.“

„Ich bin froh über ein wenig Gesellschaft. Du kannst gerne bleiben.“

 

Die Alte sah aus als würde sie jeden Moment tot umfallen. Aber sie war sehr freundlich. Ich setzte einen Topf auf den Herd und kochte eine Suppe. Während es im Topf brodelte, räumte ich die Hütte auf. Die Alte beobachtete mich die ganze Zeit und lächelte mich zwischendurch zahnlos an. Als die Suppe fertig war, stellte ich fest, das sie nicht allein essen konnte, also setzte ich mich zu ihr und half ihr.

„Du bist ein nettes Kind.“

„Ach, das mache ich doch gern.“

Sie tat mir leid. Allein im Wald zu leben ist eine Sache, aber allein im Wald zu sterben stellte ich mir nicht schön vor.

Ich konnte ein Gähnen nicht unterdrücken und sie sagte: „Schlaf ruhig mein Kind, hierher kommen die Räuber schon lange nicht mehr.“ Ich legte meine Decke auf den Boden neben das Feuer und schlief bald ein.

Mitten in der Nacht wachte ich auf. Ich war der Meinung Stimmen vor dem Haus gehört zu haben. Dann hörte ich einen leisen Gesang. Ich griff nach einem Messer und stellte mich schlafend, behielt dabei aber die Tür im Auge. Der Gesang verstummte und die Tür öffnete sich geräuschlos. Zwei Gestalten traten ein.

 

Zwei junge Frauen kamen herein und gingen in Richtung Bett. Corvina hörte wie der Atem der Alten schneller ging und wusste dass auch sie wach war. Sie sprang mit dem Messer in der Hand auf und fragte: „Wer seid ihr und was wollt ihr.“

„Sie kann uns sehen!“

„Natürlich sehe ich euch. Wer seid ihr?“

Die Alte flüsterte: „Das Lied, der Schatten.“

Die Schwarzhaarige strich ihr über das Gesicht und Corvina sah wie sich ein milchiges Licht neben ihr zu einer Gestalt formte. Die alte Frau atmete nicht mehr.

Der milchige Schemen glitt zu Corvina und sie hörte eine Stimme wispern: „Danke für deinen Besuch.“ Dann löste er sich auf und verschwand. Die beiden Frauen waren allerdings noch da. Corvina wandte sich ihnen zu.

„Ihr seid der Tod?“ Sie nickten.

„Warum kann ich euch sehen, werde ich auch sterben?“

Die blonde antwortete: „Nein, keine Sorge. Wir wundern uns auch, normalerweise sind wir während eines Auftrags unsichtbar.“

Die andere griff durch die Wand: „Wir sind auch nicht sichtbar. Merkwürdig, wir müssen den göttlichen Drachen fragen wie das sein kann.“

„Der Auftrag ist ja nun erledigt.“ Sie stellten sich gegenüber, machten beide eine komplizierte Handbewegung und auf einmal konnte Corvina sie noch besser sehen.

„Oh, ich glaube jetzt seid ihr wirklich sichtbar.“

Die Dunkelhaarige grinste: „Ja sicher.“ Sie klopfte gegen das Holz durch das sie vorher durchgegriffen hatte. „Dies ist unsere menschliche Gestalt.“

„Stört es dich wenn wir für den Rest der Nacht hier bleiben?“

„Mich stört gar nichts mehr.“

 

Am Morgen wachte ich auf und stellte zu meiner Freude fest, dass ich noch lebte. Die beiden Frauen lagen neben mir und die Leiche der Alten lag noch auf dem Bett. Ich stand auf und packte gerade meine Sachen zusammen, als die blonde Frau aufwachte.

Sie sagte: „Guten Morgen, hast du gut geschlafen?“ Als sie mein Gesicht sah lachte sie „eine dumme Frage, wer schläft schon gut mit dem Tod unter einem Dach und einer Leiche im Zimmer.“

Ich fragte: „Hast du einen Namen oder soll ich dich mit Tod ansprechen?“

„Bloß nicht, ich heiße Tune und das ist meine Freundin Shade.“

„Mein Name ist Corvina. Möchtest du auch etwas Essen?“

 

Corvina frühstückte mit Tune und Shade vor dem Haus und sie unterhielten sich. Corvina erfuhr, wie es dazu gekommen war, dass Tune und Shade den alten Tod abgelöst hatten und sie erzählte ihnen von ihrer Vergangenheit.

Als sie sich gerade mit Tune über Bücher unterhielt, ging Shade kurz in das Haus und kam mit einem kleinen Beutel voll Gold und Silber wieder heraus.

„Das müssten ihre gesamten Ersparnisse sein.“ stellte sie fest.

„Wir sollten sie der Familie übergeben.“ schlug Corvina vor.

„Sie hatte keine“, sagten Tune und Shade wie aus einem Mund.

Dann fügte Tune hinzu: „Das ist einer der Gründe weswegen wir hierher gekommen sind, sie sollte nicht völlig allein sterben. Kein Mensch hatte mehr Interesse für sie. In solchen Fällen teilen wir das Geld unter uns auf. Solange wir uns in unserer menschlichen Gestalt befinden, haben wir auch menschliche Bedürfnisse und brauchen ab und zu Geld.“

„Und außerdem bin ich gelernte Diebin, ich kann an keinem einsamen Goldstück vorbei gehen.“ gestand Shade.

„Sie hat sich sehr über deinen Besuch gefreut, du bekommst auch einen Anteil.“ entschied Tune, Shade nickte. Sie teilte das Geld gerecht auf und gaben Corvina den Beutel mit ihrem Anteil.

„Ich schäme mich fast dafür das ich es nehme, aber ich kann es wirklich gut gebrauchen.“

„Wir werden sie begraben, du hast hier sicher schon mehr erlebt als dir lieb ist und willst bestimmt deinen Weg fortsetzen.“

„Ja, ich bin verabredet und muss morgen in der westlichen Hafenstadt sein.“

„Das kannst du zu Fuß nicht schaffen. Das ist noch ein Zwei-Tages-Marsch.“

„Wer sagte denn dass ich zu Fuß gehen will?“

 

Nach einigen Erklärungen und Wegbeschreibungen verabschiedete ich mich von den beiden und schnallte meinen Rucksack fest. Dann verwandelte ich mich in einen Raben und flog in Richtung Stadt. Fliegen war klasse!

Ich konnte die Stadt schon von weitem sehen, also landete ich etwas außerhalb um die restliche Strecke zu Fuß zu gehen, als ich von einem Bauern angesprochen wurde, der auf seinem Wagen an mir vorbeiratterte.

„Hey Mädel, willste in die Stadt? Spring auf, ich nehm dich mit.“

Ich bedankte mich artig und setzte mich hinten auf den Wagen. Offensichtlich brachte der Bauer sein Gemüse zum Markt.

Er erzählte mir wie das Wetter in den nächsten Tagen seiner Ansicht nach werden würde, wie die Gemüsepreise standen und als wir in der Stadt waren, schenkte er mir einen Kohlrabi zum Abschied.

 

Corvina überlegte was sie in der Stadt tun sollte und beschloss, sich erst einmal eine Unterkunft zu suchen.

Als das erledigt war, ging sie sich auf dem Markt umsehen. Sie brauchte dringend andere Kleidung.

An einem Stand fand sie einen nachtblauen Umhang, der ihr sehr gut gefiel. Sie feilschte mit dem Händler und bekam ihn für die Hälfte des zuerst genannten Preises. Danach kaufte sie nur noch etwas Brot und ging dann zurück in das Gasthaus, in dem sie ein Zimmer gemietet hatte. Sie setzte sich an den Tisch und schrieb in ihr Tagebuch, was sie erlebt hatte.

Ich beschäftigte mich den ganzen Abend mit meinem Tagebuch. Da ich befürchtete es könnte in die falschen Hände gelangen, machte ich einige Eintragungen auf Englisch. Ich hatte festgestellt dass in dieser Welt nur eine Sprache gesprochen wurde und fühlte mich so sicherer.

Als ich am Morgen in die Gaststube trat, sagte mir die Wirtin es sei eine Nachricht für mich gebracht worden. Sie gab mir ein Stück Pergament und ich las es. Ich hatte noch etwas Zeit, also lief ich noch einmal durch die Stadt. Am späten Nachmittag machte ich mich, in meinen Umhang gehüllt, auf den Weg zum Treffpunkt.

Als ich die Taverne von außen sah, hoffte ich aus ganzem Herzen, dass die Nachricht auch wirklich angekommen war.

 

 

9. Dorla: Aufbruch

 

Als es hell wurde, war alles vorbereitet. Mein Rucksack stand fertig gepackt vor der Tür und ich gürtete mein Schwert um. Ich verabschiedete mich von meinen Gästen und machte mich auf den Weg durch den Wald.

Der leichte Morgennebel verflog langsam und ich stapfte durch das tiefe Laub. Als ich auf den Weg traf, beschleunigte ich meine Schritte. Wie immer summte ich oder sang leise vor mich her. Ab und zu lauschte ich in den Wald und beobachtete die Tiere, die ihren Tagesgeschäften nachgingen. Ich fand einige Kräuter, die ich pflückte und mitnahm. Gegen Mittag machte ich eine erste Pause und aß etwas von meinem Proviant. Über den Tag verteilt machte ich noch einige Pausen und als der Abend hereinbrach suchte ich mir einen trockenen Schlafplatz.

Die beiden folgenden Tage vergingen ähnlich. Ich traf unterwegs niemanden, allerdings ging ich Begegnungen auch aus dem Weg. Ich bemerkte einige Räuber, die den Reisenden auf der Strasse auflauerten und umging sie in einem weiten Kreis. Am Mittag des zweiten Tages verließ ich die Strasse und suchte mir meinen Weg durchs Unterholz. Am Nachmittag erreichte ich mein Ziel.

Auf einer kleinen Lichtung mit einem See stand die kleine Holzhütte, in der meine Freundin wohnte. Als ich auf die Lichtung trat, rannte auf einmal ein riesiger Wolf auf mich zu. Ich blieb stehen und wartete ab. Kurz vor mir bremste er seinen Angriff ab und knurrte mich laut an. Ich beobachtete ihn weiter. Als sich sein Verhalten nicht änderte, kniete ich mich vor ihn hin und streckte die Hand aus. Dann pustete ich ihn an. Das Ergebnis war durchschlagend. Er hörte auf zu knurren, zog den Schwanz ein und versteckte sich in den Büschen. Ich lachte und ging zur Tür. Ich klopfte, aber es war niemand zu Hause.

Vor dem Haus stand eine Bank und ich setzte mich darauf und wartete. Ich suchte mir noch etwas zu essen aus meinem Rucksack und lockte auch den Wolf wieder an. Er bekam etwas von meinem Schinken und seine Angst verflog. Nach einiger Zeit hörte ich ein Rascheln hinter der Hütte und Schritte die sich näherten. Dann trat sie um die Ecke.

„Dorla, was machst du denn hier?“ Sie brach mir mit ihrer Umarmung fast die Rippen.

„Hallo Gwen, schön dich zu sehen. Ich brauche deine Hilfe.“ Presste ich mühsam hervor.

„Ein freundschaftlicher Besuch ohne Grund wäre wohl zuviel verlangt?“

„Du könntest mich ja auch besuchen.“

„Da hast du recht. Wie kann ich dir helfen? Komm doch rein.“

Ich folgte Gwendolyn in das Innere der kleinen Hütte und erklärte ihr mein Vorhaben.

„So, du willst in die Welt hinausziehen und Abenteuer erleben und ich soll auf Haus und Hof aufpassen und deiner Rückkehr harren?“

„Genau, wirst du das für mich und die Dorfbewohner tun?“

„Sicher, morgen früh können wir losziehen oder hast du es sehr eilig?“

„Nein, liegt alles noch im Zeitplan.“

 

Meine Freundin Gwendolyn war die Tochter einer Mondfee. Wölfe waren ihre Lieblingstiere und sie hatte ihren momentanen Begleiter als Welpen im Wald gefunden und aufgepäppelt. Da sie am liebsten Nachts unterwegs war und das bei den meisten Menschen auf Misstrauen stieß, hatte auch sie es vorgezogen allein im Wald zu leben. Der Mond verlieh ihr die heilenden Kräfte, die sie für meine Zwecke so brauchbar machten.

Früh am Morgen brachen wir auf. Wir brauchten etwas länger als ich auf dem Hinweg, was hauptsächlich daran lag, das Gwendolyns Garderobe nur aus langen, weißen Kleidern bestand, die sich ab und zu im Unterholz verfingen. Unterwegs unterhielten wir uns ausgiebig und tauschten neue Rezepte für Heiltränke und Tees aus.

„Hast du eigentlich viel zu tun?“ Fragte sie mich.

„Nein, die Dörfler sind eigentlich ziemlich robust und ich kümmere mich meistens nur um meinen Garten und die Tiere in der Umgebung.“

„Ist das nicht langweilig?“

Ich warf ihr einen verwunderten Blick zu und sie lachte und sagte: „Du hast ja recht, ich mache ja auch nichts anderes und langweile mich trotzdem nie.“

„Wenn mir langweilig ist, gehe ich abends zur Quelle und singe. Dann kommt mein Freund Albus und ich habe jemanden zum reden.“

„Du singst und dann kommt dein Freund? Das finde ich merkwürdig. Wohnt er in der Nähe?“

„Er ist ein Teil des Waldes und sehr alt.“ Ich lachte und sie musterte mich.

„Seit wann stehst du auf alte Männer?“

„Wer redet von Männern? Er ist ein Einhorn.“

Sie lachte: „Das sieht dir ähnlich. Wie hast du ihn kennen gelernt? – Nein, lass mich raten, du bist singend durch den Wald gelaufen und er sah nach, wer in sein Reich eingedrungen war.“

„So ähnlich, aber er ist wirklich nur ein Freund. Ihr würdet euch sicher gut verstehen, er verwandelt sich Nachts in einen Menschen.“

„Ich kann ihn ja mal besuchen aber Singen sollte ich wohl besser nicht.“

Lachend setzten wir unseren Weg fort.

Als wir, spät abends, auf meiner Lichtung ankamen, sah Gwen sich um. „Hier hat sich viel verändert, seit ich das letzte Mal hier war, aber es wohnt ja auch keine alte Kräuterhexe mehr in dem Haus.“

„Nein, aber eine junge.“

In diesem Moment trat Konrad aus dem Haus. Er starrte Gwen an und so stellte ich die beiden vor: „Gwendolyn, dies ist Konrad, ein Gesandter des Königreiches des Ostens. Konrad, das ist meine Freundin Gwendolyn, die mich während meiner Abwesenheit vertreten wird.“ Gwen reichte ihm die Hand und sagte: „Ich freue mich euch kennen zu lernen.“

Konrad brachte eine vollendete Verbeugung zustande und antwortete: „Die Freude liegt ganz auf meiner Seite, Mylady.“

Da die beiden sich offensichtlich gut verstanden, ging ich in Haus und sah nach meinen Patienten. Sie schliefen beide. Ich weckte Brand und fragte: „Na, wie geht es dir? Hast du noch Schmerzen?“

„Nein habe ich nicht. Wann bist du gekommen?“

„Gerade eben. Steh auf, ich will dich untersuchen.“ Er stand auf und zog sein Hemd aus. Ich betastete seine Knochen und war zufrieden, alles war restlos verheilt.

„Was hast du in den letzten Tagen gemacht?“

„Nichts, wie du mir befohlen hattest.“ Er lachte.

„Gut, ab morgen wirst du trainieren, damit du wieder so beweglich wirst wie vor deinem Zusammentreffen mit dem Pferd.“ Auf einmal ertönte ein Lachen hinter mir. Marc war aufgewacht und stichelte: „Der war doch noch nie beweglich, sonst wäre er dem Pferd ausgewichen.“

„Freut mich das es dir besser geht. Du bist der nächste. Steh auf und zieh dein Hemd aus.“

Brav folgte er meinen Anweisungen. Ich tastete auch ihn ab und untersuchte die Schulter. Eine helle Stelle zeigte noch wo der Pfeil eingedrungen war, aber von dem Schnitt über den Rippen war nichts mehr zu sehen. „Ich würde gerne eine zweite Meinung einholen, hast du etwas dagegen?“

„Nein, natürlich nicht.“

Ich rief Gwen herein und stellte sie vor, dann bat ich sie Marc zu untersuchen.

„Ist sehr gut verheilt. Dir fehlt immer noch Kraft und die Schulter ist auch etwas steif oder?“

Marc nickte.

„Komm mit nach draußen, dann bekommst du eine meiner Spezialbehandlungen.“

Im Mondlicht hob sie ihre Arme erst zum Himmel und legte sie dann auf Marcs Brust. Er atmete tief ein und sagte dann: „Ich konnte spüren wie die Energie mich durchdrang. Ich fühle mich viel besser.“

„Das bringt dir zwei Tage. Du kannst morgen ein wenig spazieren gehen, aber wenn du dich schlecht fühlst, machst du sofort eine Pause.“

Gwen stimmte mir zu. Ich schickte die Männer schlafen und setzte mich noch mit Gwendolyn vors Haus. „Ich wünschte ich hätte deine Kräfte.“

„Die hast du doch. Du kannst genau so gut heilen wie ich, vielleicht sogar besser.“

„Ja, aber es kostet mich eine Menge Energie und ich muss unheimlich viel essen um nicht selber zum Pflegefall zu werden.“

„Ich beziehe meine Kräfte direkt vom Mond. Das ist das Erbe meiner Mutter.“

„Ja, aber ich kann nicht auf das Blut meiner Vorfahren zurückgreifen. Wahrscheinlich werde ich nie eine Quelle für unerschöpfliche Energie finden.“

„Bestimmt findest du irgendwann eine. Hoffentlich vergeht dir bis dahin nicht der Hunger auf Nüsse und Honig.“

„Sehr witzig. Danke für dein Mitgefühl.“ Lachend bereiteten wir unser Lager vor und legten uns dann schlafen.

 

 

10. Torean: Corvina

 

Ich ging in die "Fliegende Schwalbe“, die einzige schwimmende Taverne die ich kannte. Dem Geruch nach hätte sie eher "Sehr toter Fisch" heißen sollen. Ich hatte eine Verabredung mit dem Schicksal. Jemand, den ich überhaupt nicht kannte, wollte mich treffen und hatte mir das über Umwege mitgeteilt, die selbst ich nicht zurückverfolgen konnte. Allein das hatte mich neugierig gemacht.

In der Taverne war ich bekannt und der Wirt nickte mir zu als ich durch die Tür kam. Ich sah mich unauffällig um und suchte mir einen Platz. Die üblichen Säufer scharten sich um die Bar, einige heruntergekommene Bürger betrogen sich gegenseitig beim Kartenspiel und die Bedienung tat in kurzen Röcken... nun ja, was Schankmädchen halt zu tun haben, wenn sie Trinkgeld wollen.

 

Als ich in die Taverne kam drehte sich mir fast der Magen um. Dass etwas so stinken kann, obwohl es auf dem Wasser unterwegs war, war schier unglaublich. Ich sah mich kurz nach einem freien Platz um und setzte mich dann in die hinterste Ecke, weit fort von den Säufern und Schlägern.

Ich behielt meinen Umhang an und zog die Kapuze noch etwas weiter in mein Gesicht. Als ein Schankmädchen kam bestellte ich mit tiefer Stimme einen Krug Wein, dabei beobachtete ich weiter meine Umgebung. Unter einem freien Tisch, ein paar Schritte von mir entfernt, schlief ein von Fliegen umschwirrter Hund. Jedenfalls hoffte ich das er schlief.

Ich beobachtete die Gestalten die sich in dem Etablissement tummelten, und wartete auf meine Verabredung.

Hoffentlich kam er bald.

 

Ich hatte meinen Kandidaten ausgemacht. Er saß in der hintersten Ecke und trank Wein. Obwohl er eigentlich nicht wirklich trank. Bis jetzt hatte er den Wein noch nicht angerührt. Es wunderte mich, dass noch niemand anderes von ihm Notiz genommen hatte. Unauffällig ist ein Umhang im Hochsommer jedenfalls nicht. Ich stand auf und ging hinüber. Das Schwert steckte locker in seiner Scheide.

 

Er kam auf mich zu. Ich hatte ihn nicht gesehen, weil die Spieler zwischen uns saßen. Er blieb vor meinem Tisch stehen und ich sagte leise zu ihm: "In meinem letzten Leben habe ich als Krieger mit euch gerungen."

Und er antwortete: "Und wir starben beide, ungeliebt, unbeweint und unbesungen."

Ich sah zu ihm auf. Er hatte blondes Haar, das so geschnitten war, das es unter einen Helm passte und er trug eine Lederhose, ein weißes Leinenhemd mit weiten Ärmeln und eine Lederweste. An seinem Gürtel hing ein Schwert und in seinem Stiefel steckte sicherlich noch ein Dolch.

"Setzt euch doch bitte" sagte ich zu ihm. Und er tat es.

"Was wollt ihr von mir?", war seine erste Frage und die war wirklich nicht leicht zu beantworten.

 

Ich ging zu dem Tisch und er sagte das Passwort, ich steuerte meinen Teil dazu bei und er forderte mich auf, mich zu setzen.

Der Mantel verhüllte ihn perfekt. Er hätte bis an die Zähne bewaffnet sein können und man hätte es nicht gesehen. Nun, unbewaffnet war er bestimmt nicht. Nur ein Tor würde unbewaffnet in so eine Spelunke gehen.

Ich setzte mich neben ihn, mit dem Rücken zur Wand, so dass ich alles im Blick hatte und fragte ihn was er von mir wolle. Er bot mir seinen Wein an und ich trank etwas davon, während er mir erzählte, dass er ein Problem hätte, das nicht so leicht zu lösen und noch schwieriger zu erklären wäre. Seine Stimme hatte einen merkwürdigen Klang und er sprach mit einem unbekannten Akzent. Ich war so abgelenkt vom Klang seiner Stimme, dass ich seine Frage erst beim zweiten Mal verstand.

 

Ich wiederholte etwas lauter: "Gibt es ein angemesseneres Lokal in dem wir uns unterhalten können? Hier stinkt es mir zu sehr!"

"Aber ihr habt es doch vorgeschlagen!?"

"Aber ich kannte es nicht, ich fand nur den Namen nett, er erinnerte mich an ein Lied..."

Er war einverstanden die "Fliegende Schwalbe" zu verlassen und so zahlte ich meine Zeche und kurze Zeit später traten wir auf den Steg.

"Wohin nun?" fragte ich als wir auf der Straße standen.

Er wies in eine Richtung: "Dort entlang, die Nacht ist hell, wir können uns draußen unterhalten."

"Es ist wirklich heiß heute" sagte ich und legte meinen Umhang so, dass er nur noch meinen Rücken verdeckte, dann schlug ich die Kapuze zurück, "Seid ihr auch sicher, dass es hier für uns sicher ist? Ich kenne mich in dieser Stadt nicht aus und ich werde nur ungern überf..."

Er war stehen geblieben. Er war stehen geblieben und starrte mich an. Was hatte das denn nun wieder zu bedeuten. "Was ist?" fragte ich.

 

Das war kein Er, das war eine Sie. Und jetzt klang auch die Stimme nicht mehr merkwürdig. Sie hatte sie bloß verstellt um in der Taverne nicht aufzufallen. "Ihr seid eine Frau!" stammelte ich und wusste im gleichen Moment dass das ziemlich beschränkt klingen musste.

 

"Gut erkannt" sagte sie und klang dabei etwas gereizt. "Ändert das irgend etwas?"

"Ich weiß ja immer noch nicht worum es überhaupt geht... , braucht ihr einen Leibwächter?" mutmaßte er, "dafür bin ich nicht zu haben."

Sie lächelte matt: "Nein, ich brauche keinen Leibwächter, ich kann mich ziemlich gut selbst verteidigen, wenn es nötig ist. Aber ich brauche jemanden der aufpasst dass mir keine Fehler unterlaufen, weil ich mit den Sitten und Gebräuchen hier nicht vertraut bin. Ich kann gut zahlen, aber bisher habe ich noch niemanden gefunden der meinen Anforderungen entsprach. Aber von euch habe ich nur gutes gehört..."

"Von wem?" fragte er.

"Ich habe versprochen meine Quellen nicht zu verraten." antwortete sie.

"Wir können nicht in eine Taverne gehen, ihr seid zu auffällig mit diesem Mantel und ohne ihn wäre es noch schlimmer. Man kennt mich in dieser Stadt und ich bin selten in Damenbegleitung anzutreffen." Er wirkte unentschlossen.

"Nun, wie wäre es, wenn wir in das Gasthaus gehen in dem ich Quartier bezogen habe und uns auf meinem Zimmer unterhalten?" schlug sie vor.

Er sah sie prüfend an: "In Ordnung, leihen sie mir den Mantel?"