Siriel

Aus Sanily wird Siriel - Der Fortsetzungsroman

 

„Ich weiß ja nicht wie es euch geht, aber ich bin halbtot“, stöhnte Siany und versuchte ihre Eisfinger in der Rocktasche aufzutauen.

„Es ist aber auch wirklich saukalt heute morgen“ erwiderte Elaine, „Haben sie uns so lange warten lassen, um uns dann kurz vorm Wintereinbruch  loszuschicken, damit in der kalten Jahreszeit mehr Nahrung für sie bleibt?“

Siany lachte:“ Das glaubst du doch wohl selbst nicht - außerdem, warum hätten sie dich dann mitgeschickt?“

„Du isst ja nun wirklich fast gar nichts“, fügte Rialla hinzu. „Also ich glaube, dass sie endlich mit unserer Entwicklung zufrieden waren und uns deshalb erst jetzt losgeschickt haben. Die Jahreszeit ist eigentlich sowieso egal, da wir ja genau in einem Jahr wiederkommen; und - gebt es doch zu - wenn wir diesen Winter auch noch zu Hause rumgehangen hätten,  wären wir nicht gerade gut verträgliche Hausgenossen gewesen“, die beiden stimmten ihr zu.

„Was machen wir jetzt eigentlich?“ fragte Elaine.

„Gute Frage“, Siany überlegte, „was meinst du Rialla, du warst doch schon öfter außerhalb der Siedlung, wenn ihr im Lager trainiert habt.“

Sie erklärte: „Es gibt am Ende dieses Weges ein kleines Gasthaus, in dem die Pferdehändler übernachten, wenn sie hier vorbeiziehen, da können wir heute nacht bleiben, aber wir müssen zusehen, dass wir unsere Ausrüstung so vervollständigen, dass wir nicht mehr so teuer absteigen müssen.“

 

Sie waren jetzt schon den ganzen Tag lang dem Weg gefolgt, als sie auf das besagte Gasthaus trafen. Dank Riallas großer Überredungskunst überließ ihnen der Wirt schließlich, trotz ihrer kargen Zahlungsmittel, ein Zimmer für eine Nacht. Er betrachtete Rialla dabei so lüstern, dass Siany darauf Aufmerksam wurde, aber sie äußerte sich erst einmal nicht dazu! ”Aber nicht länger als eine Nacht”, schnauzte er, ”Ich bin doch kein Heim für dahergelaufene Jugendliche.” Rialla knurrte nur leise in sich hinein und Siany verzog ärgerlich das Gesicht. Wären sie nicht so durchgefroren gewesen, hätte dieser widerwärtige Mensch etwas erleben können.

 

Das kleine Zimmer besaß einen winzigen Kamin, in dem sie sofort ein Feuer entfachten. Während Siany und Rialla dicht am Feuer saßen und ihre Hände in die Nähe der Flammen hielten, saß Elaine auf dem Fensterbrett und starrte in die Nacht. Sie hatte ihren klobigen Kapuzenmantel noch immer um sich gewickelt und war vollkommen in Gedanken versunken.

„Zu unserem Glück fehlt uns eigentlich nur noch etwas Anständiges im Magen”, bemerkte Siany und Rialla grinste. “Ich kenne ein paar Jungs, die hier arbeiten! Die zweigen bestimmt noch etwas für uns ab. Ich werdegleich mal nach ihnen sehen” , sie zwinkerte Siany verheißungsvoll zu.

“Ja, mach das”, rief diese ihr nach und scherzte dann, während sie sich Elaine zuwandte, “Kaum aus dem behüteten Dorf gelassen, ist kein junger Mann mehr vor ihr sicher!”  

Aber Elaine schien gar nicht zugehört zu haben. Siany trat an sie heran und warf sich ihren langen rotblonden Zopf von der Schulter in den Nacken.

“Was schaust du dir dort draußen denn an”, fragte sie besorgt.

„Es ist Vollmond”, antwortete Elaine sehnsuchtsvoll, “ist er nicht schön!?”

Siany runzelte verwundert die Stirn. “Du kannst ihn ja mit den Wölfen anheulen”, schlug sie belustigt vor, da sie wusste, dass Elaine ein besonderes Verhältnis zu den grauen Rudelwesen hatte, so wie sie selbst zu jedem Pferd und Rialla zu Katzen. Sie wurde jedoch gleich wieder ernst. “Da gibt es doch noch etwas was dich bedrückt”, mutmaßte sie. Siany konnte ihre Freundinnen schon sehr gut einschätzen und merkte immer sofort, wenn etwas nicht stimmte.

“Ja”, seufzte Elaine, “die Zauberin Lyra gab mir etwas zu verstehen, was überhaupt keinen Sinn macht und außerdem....”

“Hör auf dir über sie Gedanken zu machen”, unterbrach Siany sie beschwichtigend und legte ihre kräftige Hand auf Elaines schmale Schulter, “sie hat schon immer gewusst, wie sie dich einschüchtern konnte.”

Verzagt schaute Elaine ihrer Freundin ins Gesicht, wollte noch etwas hinzufügen, da wurde plötzlich die Tür aufgerissen und Rialla stürmte herein. Krachend warf sie die Tür hinter sich zu. Sie war außer Atem und ihre Wangen waren gerötet.

“So ein Dreckskerl”, schimpfte sie keuchend.

Unten im Flur hörte man eine tiefe Stimme brüllen, woraufhin weitere Männerstimmen laut wurden und eilige, dumpfe Schritte auf den Holzdielen zu hören waren. Offensichtlich wütend, warf Rialla ein Bündel, dass sie aus ihrem Halstuch gemacht hatte, auf eines der Betten. Sie schnappte  immer noch nach Luft und versuchte erklärende Worte von sich zu geben, da bewegte sich der Türgriff. Mit einem Sprung standen Siany und Rialla an der Tür. Auch Elaine erwachte aus ihrer Lethargie und sprang vom Fensterbrett. Ihre Lippen waren zu einer dünnen Linie gepresst und ihre Augen glühten. Sianys Augen leuchteten ebenfalls unheilverheißend.

„Was hast du gemacht?“, fragte Siany.

„Ich? Ich habe was zu Essen besorgt und bin auf dem Rückweg vom Stall dem Wirt begegnet. Er glotzte mich an und sabberte! Was hättest du gemacht?“

Bevor sie weiteres erklären konnte, versuchte jemand von außen die Tür einzuschlagen und brüllte dabei: „Komm raus du Miststück, erst machst du mich mit deinen scharfen Hosen heiß und dann schlägst du mich...!“

Also das war es. Weil Rialla immer freie Bahn zum zuschlagen brauchte, trug sie schon lange nicht mehr die üblichen Röcke, die einer  Kriegerin nur hinderlich wären.

„Willst du dich mit uns anlegen?“, Siany baute sich in der Tür auf, „Wir haben für diese Absteige bezahlt und wollen nur in Ruhe gelassen werden.“

Der Wirt war sichtlich unbeeindruckt, „Ach, und was wollt ihr drei kleinen Mädels gegen mich unternehmen wenn ich etwas anderes im Sinn habe? Weinen?“

„Nun ja,...“ Siany blickte über ihre Schulter zu den anderen; Elaine ließ eine kleine Flamme von einem gestreckten Finger zum nächsten springen und Rialla hatte endlich ihr Schwert aus dem Bündel geholt. Siany drehte langsam ihren Ohrring und lächelte den Wirt an, der schlagartig etwas nachdenklicher wirkte und hastig rückwärts von der Schwelle trat.

„Was ist los Chef?“ wollte der Knecht, der die ganze Zeit hinter ihm gestanden hatte, wissen.

„Gehen wir“, entgegnete der Wirt. Der verdatterte und alles andere als intelligente Knecht folgte seinem Herrn die Treppe hinunter und brummelte leise vor sich hin: “hmb, hmbl, blöde Weiber...“.

„Oh, Mann, das war knapp.“  Siany verriegelte die Tür hinter dem Wirt und atmete auf, „Wie wird das denn erst wenn ich auch in Hosen rumlaufe? Sind wir dann vor keinem geilen Bock mit übersteigertem Selbstwertgefühl mehr sicher?“

„Also ich werde mein Schwert jetzt nicht mehr ablegen“ , beschloss Rialla, „dass sollte als Abschreckung reichen.“ 

Elaine nickte: „Du solltest deinen Dolch auch lieber in deinen Gürtel als in deinen Stiefel stecken Siany.“

Siany lachte: „Dann musst ich aufpassen, dass er mir nicht geklaut wird.“ Sie kicherte, „dir reicht deine Magie, wer dich angrabscht der verbrennt sich, im wahrsten Sinne des Wortes, die Finger.“

Rialla ging zu einem der Betten und reichte Siany den Beutel: „Wir können froh sein, dass der Wirt deinen Wink mit dem Zaunpfahl verstanden hat. Wäre er genau so blöd wie sein Knecht, hätten wir vielleicht wirklich kämpfen müssen.“

Siany und Elaine nickten. „Na ja, vergessen wir es einfach, das wird uns nicht noch einmal passieren.“

„Nein,“ erwiderte Elaine, „ab jetzt werden wir besser aufpassen. Was gibt es denn jetzt eigentlich zu essen?“ Siany warf einen Blick in den provisorischen Beutel: „Tja, ich würde sagen Käsebrote. Wer will was?“

Kurze Zeit später saßen sie auf einem der Betten und unterhielten sich, während sie geröstetes Brot und halb geschmolzenen Käse aßen. „wie sah es im Stall aus, Rialla? Hat der Idiot Pferde die wir gebrauchen könnten?“

„Nein, ich glaube das sind alles alte Tiere, aber ich würde vorschlagen, dass du sie selbst noch einmal begutachtest, Siany.“

„Gut, dass mache ich noch heute Abend, wir könnten zumindest ein Packpferd gebrauchen, ich jedenfalls fühle mich, als ob ich heute einen Sack Ziegelsteine geschleppt hätte.“

Vor sich hingähnend schlurfte Siany die Treppen des Wirtshauses hinunter. Rialla und Elaine lagen schon friedlich schlafend in ihren Betten. Sie waren, kaum das sie lagen, in tiefste Träume versunken. Siany hätte sowieso keine Ruhe finden können, bevor sie nicht den Stall begutachtet hatte.

Mit finsterer Miene sah sie sich in dem düsteren Flur um, dann schlüpfte sie durch die Eingangstür nach draußen. Sie schlich um das Wirtshaus herum, einen geschwungenen Trampelpfad entlang und fand dann, hinter ein Paar Bäumen versteckt, einen Stall. Sie hörte schon von draußen leises Schnauben und Wiehern. Mit leisem Quietschen und Krächzten ließ sich die Tür aufschieben. Aufmerksam blickten sofort alle Pferde auf und reckten ihr die Hälse entgegen.

Siany seufzte leise auf, Rialla hatte recht gehabt. Es waren zwar gesunde, recht ansehnliche Pferde, aber zu alt um mit ihnen noch irgendein Abenteuer zu erleben und darauf würde es, wie sich heute gezeigt hatte, hinauslaufen. Sie wollte sich schon umdrehen und den Stall enttäuscht wieder verlassen, da bemerkte sie ein junges Tier ganz hinten in der Ecke. Es hatte den Kopf gesenkt und blickte starr auf den Boden. Irgend etwas stimmte mit diesem Tier nicht, das wusste Siany schon bevor sie es ganz gesehen hatte.

Sie näherte sich dem Pferd vorsichtig. Sanft streichelte sie es am Hals und begutachtete die geschwollene Fessel des Hinterlaufs. Da kam ihr eine Idee. Langsam und leise, damit die Pferde nicht aufgeschreckt wurden, verließ sie wieder den Stall. Auf geradem Weg und schnellen Schrittes ging sie zum Zimmer des Wirtes, klopfte energisch an dessen Tür und wartete ungeduldig. Ein ärgerliches Brummen wurde hörbar. Mit vor Müdigkeit geröteten Augen öffnete der fette Wirt die Tür. Mürrisch blickte er in Sianys entschlossene Miene. Als er erkannte wer der späte Störenfried war, erhellte sich sein Gesicht etwas. „He, he“, freute er sich, „Na Lady, willste dich jetzt entschuldigen?“. Überlegen kratzte er sich am Kinn. Siany musste sich schon sehr zusammenreißen um ihm nicht ins Gesicht zu schlagen. Sein schmieriges Grinsen und diese unverschämten Blicke widerten sie an. „Wir brauchen ein Pferd für unsere Weiterreise“, erklärte sie ihm mit fester Stimme. „Und ich dachte, da sie so ein tüchtiger Geschäftsmann sind, haben sie bestimmt eins für uns über“, fügte sie schmeichlerisch hinzu. Ab und zu war sie eben doch zu überzeugender Schauspielerei fähig, was sie ihm gleich noch näher beweisen würde.

Der ungepflegte Mann grummelte etwas unverständliches in seinen Bart und meinte dann: „Warte bis ich mir meinen Mantel übergezogen habe, dann können wir ja mal in meinem Stall nachsehen, ob ich etwas für euch habe!“

So standen sie nach einer Weile wieder in dem Stall. Der Wirt drehte sich kurz um seine Achse, wandte sich Siany zu und schlug vor: „Ich habe da ein sehr zutrauliches und kräftiges Pferdchen für euch, das ich dir für gutes Geld überlassen würde.“

Er rieb sich schon die Hände, ging auf das kranke Tier in der hintersten Ecke zu und fuhr fort: „Wie wäre es mit diesem hier? Es ist nur etwas müde, ansonsten ist es das beste Pferd im Stall!“

Mit einem breiten Grinsen entblößte er seine fauligen Zähne. Das Siany eine Menge Ahnung von Pferden hatte, konnte er ja nicht ahnen. Siany nickte langsam und schaute ihm mit gespieltem Augenaufschlag ins Gesicht.

„Wir haben aber nur sehr wenig Geld und dieses Tier ist bestimmt sehr teuer“, seufzte sie.

Der übergewichtige Mann legte kameradschaftlich einen Arm um sie, und Siany riss sich sehr zusammen, um ihm nicht auf die Füße zu kotzen.

„Als Beweis das ich euch nichts Böses will, werde ich einen Sonderpreis machen“, war seine Idee. Insgeheim war er sehr froh dieses kranke Tier loszuwerden, denn er war sicher, dass dieses Pferd nie mehr richtig laufen werden könnte.

Schnell wurden sie sich über eine Summe einig, der Kauf wurde mit einem Handschlag besiegelt und beide zogen sich strahlend auf die Zimmer zurück. Siany natürlich zu den Freundinnen, und nicht wie der Wirt insgeheim gehofft hatte mit zu ihm.

Als Siany in das Zimmer kam und die beiden anderen schlafend vorfand, beschloss sie, sie nicht zu wecken. Sie legte sich, nachdem sie die Tür sorgfältig verriegelt hatte, auf ihr Bett und schlief sofort ein.

 

Am nächsten Morgen weckten Rialla und Elaine sie erst, als schon alle Sachen gepackt und fertig verschnürt waren - Freundinnen! Siany erzählte ihnen sofort dass sie ein passendes Pferd gefunden und gekauft hatte und die beiden freuten sich sehr darüber.

„Welche Farbe hat es?“, wollte Elaine neugierig wissen, 

„Ihr werdet es ja gleich sehen und denkt daran, wir haben keine Ahnung von Pferden!“

„Was mich angeht stimmt das sowieso“, bemerkte Elaine.

„Habt ihr schon gefrühstückt?“, wollte Siany von Rialla wissen.

„Nein wir haben auf dich gewartet weil wir beide noch nicht so großen Hunger hatten, es ist ja auch noch ziemlich früh.“

„Ja und was machen wir? Essen wir jetzt oder wollen wir dieses Wanzenloch so schnell wie möglich verlassen und unterwegs essen?“

„Ich würde sagen, wir sehen zu dass wir wegkommen bevor der Wirt noch unangenehmer wird und uns auch noch den Appetit verdirbt.“

Also nahmen sie ihre Bündel und machten sich auf den Weg zum Stall um ihr krankes Pferd zu holen.

Der Wirt freute sich so über den Verkauf des lahmen Tieres, dass er, nachdem er ihnen sogar noch etwas zu Essen mitgegeben hatte, freudestrahlend hinter ihnen herwinkte.

Als sie weit genug entfernt waren und sich unbeobachtet genug fühlten hielten sie an.

Siany verteilte die Aufgaben. „Elaine halt bitte mal“, sagte sie und drückte ihr die Zügel in die Hand. „Und du kannst mal eben schnell den Packsattel abnehmen, Rialla.“

Sie hatten alle so getan als ob sie gar nicht bemerken würden dass das Pferd stark lahmte aber jetzt war es genug. Siany streichelte ihm den Hals und flüsterte beruhigende Worte in sein Ohr damit es stillhielt. Dann beugte sie sich nach unten und untersuchte das Bein noch einmal genauer.

Sie sammelte ihre Kraft und strich leicht mit den Händen über die geschwollene, heiße Fessel. Das Pferd spitzte die Ohren und drehte den Kopf um zu sehen warum die Schmerzen nachließen. Das Bein schwoll sichtbar ab und Siany führte das Pferd ein paar Mal hin und her um zu sehen wie es jetzt lief; danach befühlte sie noch einmal das Bein aber die Wärme war verschwunden.

Weil sie schon dabei war untersuchte sie auch noch den Rest des Tieres und konnte feststellen das es völlig gesund war. Sie selbst hatte jetzt allerdings einen ziemlichen Hunger.

Sie hatten an einer Stelle gehalten an der sie, auf Steinen sitzend, bequem essen konnten. Was der Wirt eingepackt hatte war wesentlich erfreulicher als es sein Anblick gewesen war und sie achteten darauf auch noch genug für weitere Mahlzeiten aufzuheben. Als sie fertig waren fragte Elaine: „Können wir dem Pferd jetzt unsere Taschen aufladen oder müssen wir es noch eine Zeitlang schonen, Siany?“

„Nein, wir können ihm unsere Bündel aufladen, sein Bein wird zwar erst morgen voll belastbar sein, aber so schwer sind unsere Sachen ja nicht.“

Während sie das Pferd beluden, das geduldig wartete, fiel Rialla ein: „Wir müssen uns noch einen Namen ausdenken, wie sollen wir es sonst rufen; oder hat der Wirt dir einen gesagt?“

„Nein, hat er nicht, aber wir haben ja genug Zeit um uns einen auszudenken.“ Während Siany überlegte nahm sie dem Pferd das Zaumzeug samt Gebiss ab. „Das brauchst du nicht mein Kleiner“, murmelte sie, während sie aus einen Stück Seil ein lockeres Band knüpfte und es ihm um den Hals legte.

„Meinst du das reicht?“ fragte Elaine, die sich am wenigsten mit Pferden auskannte.

Siany demonstrierte es. Sie ließ das Pferd los und bedeutete den anderen ein paar Schritte an die Seite zu gehen. Das Pferd war sichtlich irritiert. Dann ging Siany fast 50 Schritte weit voraus und blieb dann stehen. Sie sah das Pferd an und pfiff ganz leise um seine Aufmerksamkeit zu wecken. Ein Blick genügte und das Pferd trabte an ihre Seite und lief ihr auf dem Rückweg wie ein Hund hinterher. Siany lobte es und streichelte ihm über die Nase, der Wallach war sichtlich verzückt.

„Der ist ja ganz verrückt nach dir!“, stellte Rialla fest.

Nach dieser Vorführung marschierten die vier weiter, um die Last ihrer Bündel erleichtert. Der Weg  führte bergab und  wurde weniger steinig und breiter als oben in den Bergen.

Von einem Felsvorsprung aus, konnten sie den Weg mit Blicken verfolgen, bis er in einen Wald führte. Es war ein langer Weg, bis sie den Wald am Nachmittag erreichten und sie waren nur eine kurze Strecke gegangen, als sie in ihm den Weg verloren hatten.

 

 

Es dämmerte bereits als die drei Abenteurerinnen im Wald auf eine Lichtung stießen. Sie hatten beschlossen das Pferd Grizo zu nennen.

 

„Lasst uns diese Nacht unser Lager hier aufschlagen, ich mag nicht mehr weiterlaufen“, schlug Rialla vor und begutachtete die Gegend um sie herum.

„Eigentlich wollte ich den heutigen Abend schon in der Stadt verbringen“, murrte Siany.

„Nun, es ist trocken, schön weich, mit Moos überall, trockenes Holz ist auch vorhanden..."

 "Es ist ideal für uns!“, entgegnete Rialla nur und gähnte herzhaft.

Elaine runzelte die Stirn und sah sich unsicher um. Ihr Blick schweifte suchend zwischen den Bäumen hin und her. Mit den Fingern massierte sie ihre Schläfen, schon seit sie diesen Wald betreten hatten, machten sich wispernde Stimmen in ihrem Kopf breit.

„Ich habe ein ungutes Gefühl an diesem Ort, ich bin fürs Weiterlaufen. Vielleicht ist die Stadt näher als wir denken“, meinte sie schließlich.

„Was meinst du mit vielleicht?“, wollte Siany verwundert wissen, „setze deine seherischen Fähigkeiten ein!“

Elaine schüttelte daraufhin mit dem Kopf. „Geht nicht, irgend etwas blockiert mich“, kommentierte sie.

„Ach was, du bist einfach nur müde. Gib es doch zu“, wiedersprach Rialla und schnappte sich schon einen der Rucksäcke von Grizo´s Rücken.

Der Graue blickte geduldig von einem zum anderen und stupste Siany dann in die Seite.

„Was?“, fragte sie ihn. Das Tier schnaubte zur Antwort und warf seinen Kopf zur Seite. „Ja, wir bleiben hier und du kannst gleich in Ruhe grasen“, beruhigte Siany ihn und strich ihm sanft über die Nüstern.

Damit war es beschlossene Sache hier zu übernachten und Elaine seufzte leise.

„Du legst einfach einen Schutzzauber über uns, damit kann uns überhaupt nichts passieren“, schlug Siany Elaine vor, widmete sich dann aber sogleich Rialla und dem Zeltaufbau.

Während die beiden so hin und her stritten wie und wo oder womit was befestigt wird, kümmerte sich Elaine wie in Trance um das Lagerfeuer. Sie bastelte mit Hölzern eine kleine Pyramide und legte einen großzügigen Steinkreis drum herum. Dann trug sie einen großen Stapel Holz zusammen und kratzte Zeichen ins Moos um den Kreis. Die Zeichen sollten den Erhalt des Feuers bewirken! Schließlich hockte sie sich daneben, die anderen setzten sich hinzu als sie mit dem Zeltbau zufrieden waren.

Aufmerksam sahen die beiden ihr zu, wie sie ein Beutelchen aus ihrer Rocktasche zog, einige schwarze Krümelchen herausholte und sie zwischen Daumen und Zeigefinger zerrieb. Sie murmelte ein paar unverständliche Worte, warf ruckartig das Pulver ins Reisig und sofort funkte es auf und die Äste entflammten. Genau in dem Moment zuckte Elaine heftig zusammen; ihr war als würde ein heftiger Schmerz durch ihren Kopf fahren!

 

"Was ist mit dir“, fragte Siany nun doch langsam besorgt.

Elaine schüttelte nur den Kopf und erwiderte leise; „Nichts, schon gut“, während sie das Feuer weiter mit Holz nährte. „Ich denke, ich brauche eine Mütze voll Schlaf“, bemerkte sie und stand schwankend auf. Ihr war schwindelig.

„Ja, leg Dich etwas hin, danach wird es dir bestimmt besser gehen“, war auch Sianys Meinung, als sie Elaines Arm ergriff, damit diese nicht zu Boden sackte. Elaine nickte und kroch ins Zelt. Siany und Rialla beschlossen, sich in die Decken einzuwickeln und noch am Lagerfeuer sitzen zu bleiben.

Verträumt sah Siany in die tanzenden Flammen, ihre Augen funkelten im Schein. „Ich liebe Lagerfeuer, sie strahlen so eine Gemütlichkeit aus“, meinte sie schließlich.

Oh, ja“, stimmte Rialla ihr zu und kuschelte sich tiefer in die Decke.

 

Währenddessen rang Elaine im Zelt mit ihrem Bewusstsein. Sie lag auf ihrer Decke und zitterte am ganzen Leib. Kleine Schweißtröpfchen bildeten sich auf ihrer Stirn. Sie hatte das Gefühl, als stünde sie vor einem tiefen dunklen Abgrund. Mit einem Mal gaben ihre Kräfte nach und ihr Bewusstsein stürzte in eine schwarzes, weites Loch, ohne Boden.

Draußen brach langsam die Nacht herein. Es knisterte und raschelte im Gebüsch zwischen den Bäumen. Aber keine Tierlaute waren zu hören. „Hat Elaine noch einen Schutzzauber ausgesprochen, bevor sie sich ihren Träumen hingab?“, fragte Rialla.

„Ich glaube nicht“, überlegte Siany und rief nach Elaine. Es kam keine Antwort, nichts rührte sich im Zelt.

„Sie schläft wahrscheinlich wie ein Stein, du kennst sie doch, die verschläft das ärgste Gewitter“, vermutete Rialla und seufzte: „Dann muss ich wohl mein kostbares Zaubermehl dafür opfern.“

Tadelnd erwiderte Siany: “ Nun tu mal nicht so.“

„Ich habe doch nicht soviel davon“, grollte Rialla, setzte aber sogleich hinzu, „Aber wenn es sein muss.“

 

Rialla stand auf und ging zu ihrem Bündel hinüber. Grizo wieherte, zuckte nervös mit dem Schweif und trabte in die Nähe der Beiden. Seine Ohren klappten vor und zurück und erregten dadurch Sianys Aufmerksamkeit. Sie sprang sofort auf, klopfte ihrem grauen Freund beruhigend auf den Hals und sprach beruhigend auf ihn ein.

Rialla hatte schon einen kleinen Beutel hervorgeholt und machte eine Runde um ihr Lager. Sie hinterließ eine Spur weißen Pulvers, welches sie selbst Zaubermehl nannte. Niemand konnte diese so harmlos aussehende Grenze von außen passieren ohne dabei außer Gefecht gesetzt zu werden. Man konnte von innen einen Lösungszauber sprechen wenn man die Wirkung aufheben wollte oder man ging einfach weiter. Nach einem Tag löste es sich auf und war verbraucht.

Ein kleines Steinchen traf Rialla am Knöchel, eine Eichel an der Hüfte. Ärgerlich wirbelte diese herum und suchte ihre Umgebung mit den Augen ab. Dabei schwenkte sie mit dem Zaubermehl ab und hinterließ eine Lücke, die sie nicht bemerkte.

„Mach schon“, drängte Siany sie, während sie immer noch versuchte das Pferd zu beruhigen, welches mit den Hufen scharrte.

So beeilte sich Rialla und übersah die Lücke erst recht. Eine morsche Baumwurzel und Steine machten die Lücke unsichtbar. Während Rialla ihr Säckchen wieder verstaute, berichtete sie Siany: „ Da ist etwas zwischen den Bäumen, was mich ärgern will.“

Grizo war zwar inzwischen ruhiger geworden und lehnte mit dem Kopf an Siany, seine Ohren waren aber noch angelegt.

„Unserem Grizo gefällt das auch nicht“, wies Siany Rialla darauf hin. Beide setzten sich wieder ans Feuer. Rialla schaute immer wieder über ihre Schultern zwischen die Bäume. „Du kannst doch eh nichts sehen, es ist viel zu dunkel“, stellte Siany fest. Plötzlich zuckten sie beide gleichzeitig zusammen und spähten in Richtung Waldsaum.

Dort wurde es laut im Geäst, es knisterte, knackte und raschelte. Winzige, weiße glühende Punkte, blinkten in den Schwärzen des Waldes auf.

„Was ist denn das?“ fragte Siany laut. Hohe Stimmchen kicherten zur Antwort.

Weißglimmende Lichter, wie Sterne, sanken aus den Baumwipfeln zu Ihnen herab und surrten um die Lichtung. Dann aber, wurde es schlagartig ruhig. Es waren nur noch die umherschwirrenden Irrlichter zu sehen.

„Glühwürmchen?!“, mutmaßte Rialla.

„Wohl kaum, nicht in der Größe“, widersprach Siany und wollte dann von Rialla leise wissen: „Hörst du sie auch singen?“

„Es klingt wie ein Summen“, war die Antwort.

Keines der beiden Mädchen wagte sich zu rühren.

 

Als die Lichter sich einzeln dem Boden näherten, vergrößerten sie sich. Erst wurde ein zartes Gesicht daraus, dann folgte ein schmaler kleiner Körper mit flatternden Hemdchen und fast unsichtbaren Flügeln. Die zierlichen Füße berührten kaum den Boden.

„Ich heiße Euch herzlich willkommen in unserem Wald“, wehte eine helle Stimme melodiös zu ihnen herüber, wobei nicht zu erkennen war woher sie kam.

Elaines Körper lag leblos im Zelt. Irgendwo aber, irrte ihr Geist in langen erdigen Gängen ohne Licht umher. Dort war sie auf lehmigem Boden erwacht, ohne eine Idee zu haben wo sie gelandet war.

Sie rief nach ihren Freundinnen, erst leise und dann lauter. Die Stille um sie herum schluckte jegliches Geräusch. Selber hatte sie ja auch noch gar keine Ahnung das ihr realer Körper sich noch immer im Zelt auf der Lichtung befand. Mutlos machte sie sich auf die Suche zurück! Irgendwo musste es doch einen Ausweg geben?

 

"Ich danke dir, auch im Namen meiner Freundinnen." ,erwiderte Siany und verbeugte sich leicht in Richtung Stimme; Rialla amte ihre Geste nach und flüsterte:

"Es sind Elfen!"

Siany nickte.

Dann bot Rialla an: "Wenn ihr mögt, kommt an unser Feuer und leistet uns Gesellschaft."

Siany und Rialla wussten, dass man sehr höflich zu Elfen sein sollte, da sie über große Zauberkräfte verfügten und diese auch einsetzten wenn sie sich bedroht fühlten.

"Wir würden euch gerne Gesellschaft leisten, aber das Feuer wird und verbrennen wenn wir näher kommen." , im Hintergrund wisperte es :"Feuer ist schlecht, vor allem im Wald."

"Oh, dann werden wir es löschen", sagte Siany und nachdem sie Elaines Zeichen verwischt hatte warf sie einige Handvoll Sand auf das Feuer, so dass es zu einem Haufen erdbedeckter Kohlen zusammensank. Dabei sagte sie zu den Elfen: "Es tut mir Leid, dass ich euch meine andere Gefährtin nicht vorstellen kann, aber sie fühlte sich nicht gut und hat sich schlafen gelegt, ich werde mit eurer Erlaubnis gleich einmal nach ihr sehen.“

Die Elfe, die die meiste Zeit gesprochen hatte, nickte Siany zu und diese kroch ins Zelt um nach Elaine zu sehen. In der Zwischenzeit wurden die Elfen neugieriger und fragten Rialla aus.

Rialla erläuterte gerade Weg, Ziel und Grund der Reise als Siany feststellte, dass Elaine nicht in einen natürlichen Schlaf gefallen war. Sie untersuchte sie mit ihren Heilersinnen, konnte aber nur feststellen dass Elaines Geist sich nicht in der Nähe ihres Körpers befand und sie nicht in der Lage war sie zu wecken. "Rialla musste diese Neuigkeit auch erfahren", dachte Siany, aber gerade als sie sich umdrehte rief diese nach ihr. Siany setzte sich wieder neben sie an das Feuer und beobachtete die Elfen.

"Siany, sie haben mir gerade erzählt das Elaine nicht schläft... "

„sondern sie ihren Geist irgendwohin versetzt haben" setzt Siany fort, bemüht ihren Ärger zu verbergen.

„Sie hatten Angst vor Elaines Feuermagie und haben sie außer Gefecht gesetzt."

"Es geschah nur zum Schutz des Waldes." , hörte man ein paar Stimmchen im Hintergrund.

"Sie hätte eurem Wald nichts angetan... "

"Das wissen wir jetzt auch und wir werden euch helfen sie zurückzuholen und auf eure Körper aufpassen während ihr sie sucht,

"Gibt es keine andere Möglichkeit?" , begann Siany.

"Nein, aber ich werde allein gehen." , sagte Rialla "wenn ich schon meinen Körper verlassen muss fühle ich mich wesentlich besser, wenn ich weiß dass du darauf aufpasst."

„Aber wäre es nicht besser wenn diejenige mit der meisten Kampferfahrung hier bliebe?"

"Mein Schwert kann ich nicht mitnehmen und du kämpfst auch nicht schlecht wenn du musst. Und nur du kannst mit mir einen Bewusstseinsfaden knüpfen und mir den richtigen Weg zurück zeigen."

"In Ordnung", seufzte Siany resignierend, "machen wir es so".

 

Kaum hatte Rialla sich neben Elaine hingelegt und Siany sie, mit Hilfe der Elfen, in diesen mysteriösen Schlaf gebannt, fand sie sich in der Dunkelheit wieder. Es war kalt, es roch modrig und Feuchtigkeit lag in der Luft.

Rialla richtete sich sofort auf und wurde je in ihrem Tatendrang gestoppt. Ein Schwindel erfasste sie, ihre Beine knickten ein und mit dem Kopf stieß sie schmerzvoll an eine Baumwurzel, die über ihr entlang wucherte. Als sie sich dann an den Wänden abstützte, griffen ihre Hände in feuchte Erde.

„Ähh, Igitt!“ Schnell ließ sie davon ab und sank zurück auf den Boden. Sie seufzte schwer. Blinzelnd versuchte sie vor sich in die Dunkelheit zu spähen. Sand rieselte auf sie hinab.

„Na, wunderbar“, sprach sie ihre Gedanken aus, fluchte leise und fragte sich, so sie hier eigentlich gelandet war. „Elaine“, rief sie laut,“ Elaine bist du hier?“

Leise gab sie ein Knurren von sich, als nach ein paar Minuten immer noch keine Antwort kam. „Wäre ja auch zu schön gewesen“, ärgerte sie sich.

Vorsichtig streckte sie einen Arm nach oben aus, um zu ertasten wie weit sie sich erheben konnte. Gebückt versuchte sie sich dann den Weg voran zu bahnen. Dann blieb sie stehen und suchte den gedanklichen Faden zu Siany, den sie zueinander geknüpft hatten. Konnte Siany ihr nicht den Weg weisen oder ihr vielleicht nur einen kleinen Tipp geben, wie es nun weitergehen sollte. Sie spürte Sianys Präsenz in ihrem Bewusstsein und fühlte das dieser gehaltene gedankliche Faden Siany schwächte.

Siany hatte es ihr ja auch erklärt, das diese Verbundenheit nur dazu diente, das sie merken würden, wenn einer von ihnen in Schwierigkeiten geriet. Und auf alle Fälle, damit Rialla nicht verloren ging, wie Elaine. So konnte sie also keinen telepatischen Kontakt zu Siany herstellen.

Im Prinzip waren sie jetzt alle drei auf sich gestellt und ihr Trio war auseinandergerissen. „Hatten die Elfen das vielleicht geplant, schoss es Rialla durch den Kopf. Einzeln waren sie schließlich viel verletzbarer.

„Ey, schläfst Du?“ quiekte da plötzlich Jemand oder etwas in ihrer Nähe.

Verärgert versuchte sie herauszufinden, woher diese Stimme gekommen war. Es stupste  etwas knubbliges Kurzes in ihren Bauch.

„Hey, du!“, meldete sich diese drollige Stimme wieder zu Wort.

Ohne lange darüber nachzudenken fasste sie mit beiden Händen vor sich und fühlte Fell zwischen den Fingern und einen Kopf. Ziemlich zottelig, mit einer Nase wie ein Gummiball und Ohren wie ein Teddybär ertastete sie am Kopf ihres neuen Bekannten. Geduldig ließ das Wesen diesen Übergriff über sich ergehen. Als Rialla dann, immer noch nicht schlauer, von diesem Fremden abließ, hatte sie nun auch eine kleine lederne Hand im Gesicht, die ihr in die Nase kniff.

„Ist das so eine Art Begrüßung“, gluckste dieses Wesen.

 Reflexartig schlug Rialla vor sich. Erst Sekunden später hörte sie in einiger Entfernung ein Geräusch wie ein Plumpsen und ein beleidigtes: „Aua, nicht nett“, und nach einer kurzen Pause wieder ein „Nicht nett“, von weiter weg. Darauf folgte dann ein Grunzer oder doch mehr ein Schnorcheln?

Rialla versuchte zweifelnd in dieser Richtung etwas zu erkennen. „Bis du noch da“, fragte sie zaghaft und es tat ihr leid, das sie immer gleich s borstig reagierte.

„Jaaa“, kam es gedehnt, aber immer noch mit einem beleidigtem Unterton aus einiger Entfernung

„Wer bist du?“ wollte sie wissen, und versuchte dabei sehr freundlich zu klingen. Denn sie wusste auf alles Neue reagierte sie immer sehr barsch, und sie wollte diese neue Bekanntschaft auf gar keinen Fall wieder vertreiben. Es bedeutete Gesellschaft und vielleicht kannte sich dieses Wesen hier unten ja aus.

„Wer bist du?“ kam von diesem Unbekannten dieselbe Frage zurück.

„Ich??“, frage sie ganz verwirrt.

„Jaa“, erwiderte es bittend,“ oder hast du dein Gedächtnis verloren?!“ Es gab ein gackerndes Lachen von sich.

Sie stöhnte genervt auf und rieb sich die Augen, die ihr von den anstrengenden Versuchen in der Dunkelheit zu sehen brannten. Sie hörte wie das Wesen näher heran hüpfte.

„Hast du... Schmerzen??“ fragte es mitfühlend.

„Hör zu“, versuchte Rialla nach einer Weile zu erklären, „ich habe keine Ahnung wo ich hier und ich muss eine verlorene Freundin finden. Es ist wichtig!“

„Oh, Oh“, gab es von sich.

„Du sagst es“, war Rialla´s Kommentar dazu.

„Du kannst in der Dunkelheit nichts sehen, stimmt´s“, vermutete ihr neuer Freund.

„Sehr scharfsinnig erkannt“, murrte Rialla auf und fragte dann sanftmütiger,“ du etwa!“

„Oh ja! Ja, ja“, quäkte es, „Woogi kann alles sehen! Sehr gut sogar. Und gerade jetzt sieht er traurige Kämpferin, die sich verirrt hat!“

„Das siehst Du gar nicht mal so falsch, Woogi“, meinte Rialla anerkennend, „Glaubst du, das du mir helfen kannst!“

„Aber klar“, kam aufgeregt die prompte Antwort, „helfe dir gern. Du möchtest mehr sehen, ich Dich hinführen! Kaum ausgesprochen, griffen auch schon die kleinen kurzen Finger wieder nach ihr. Aber diesmal zogen sie an ihrem Ärmel. „Komm mit, komm mit“, wies es an. Rialla hatte Mühe, dem aufgedrehten Woogi gebückt und stolpernd zu folgen.

„Wo führst du mich hin“, wollte sie neugierig wissen.

„Wirst schon sehen“, war die kurze Antwort.

 

Als Woogi plötzlich ohne Vorwarnung stehen blieb, prallte Rialla gegen ihn und fiel über ihn hinweg in einen beleuchteten wesentlich größeren Schacht.

Staunend sah sie um sich. Dieser neue Schacht war sogar mit hölzernen Balken gestützt. Aber Woogi drückte sie wieder in den dunkleren Gang. „Nicht so schnell, nicht so schnell. Hier gefährlich“, warnte er flüsternd.

„Warum, was hast du?“, fragte Rialla sofort und ihr kämpferischer Instinkt war geweckt. „Wer oder was ist gefährlich?“

Woogi berichtete ihr in wenigen Worten, was er wusste. „Hier mal Menschen gearbeitet, mit Schaufel und Karren. Ich beobachtet, war lustig. Aber dann Unglücke passiert mit Menschen. Unfälle. Sie sind dann geflohen. Einer über mich gestolpert und gesagt „Vorsicht Kleiner, der Stollen ist verflucht.“ Er beendete seine Erzählung mit kräftigem Nicken. Rialla kam sofort auf die Idee, das hier wohl ein Bergwerk errichtet worden war und das die Elfen die Menschen dann wieder verjagt haben.

„Weißt du, warum die Menschen geflüchtet sind“, fragte sie Woogi leise und schaute ihn aufmerksam an. Jetzt konnte sie endlich seine Gestalt betrachten. Es war ein kleiner, mit langem zotteligen Fell überwucherter aufrechtgehender Kobold. Langsam schüttelte Woogi sein zerzaustes Haupt.

„Nur Schatten, Woogi große Angst“, hauchte er. Rialla legte sogleich einen Arm um ihn und strich ihm beruhigend über den Kopf. Dumpfe Schritte näherten sich und Rialla legte einen Zeigefinger auf ihre Lippen, um Woogi anzuweisen jetzt still zu sein. Woogi nickte.

„Jetzt sind wir ja zu zweit“, flüsterte sie ihm nah ins Ohr, und...“ Ihre Hand tastete an ihren Gürtel um ihn tröstend auf ihre Waffe aufmerksam zu machen. Doch diese war nicht mit transferiert worden. Sie erstarrte und aus den Augenwinkeln sah sie einen Schatten, der immer größer wurde! Aber er schritt an Ihnen vorbei. Bei jedem Schritt knarrten die Gelenke des großen Koloss und er gab ein tiefes Brummen von sich. Mit gerunzelter Stirn folgte sie ihm mit Blicken, bevor er jedoch um die nächste Kurve gänzlich verschwinden konnte, schnappte Rialla sich den verängstigten Kobold an ihrer Seite, und schlich hinter her. Sie musste einfach mehr über diese Schattenwesen herausfinden. Ob Siany auch gerade ihren Adrenalinstoß im Körper mitbekam?

Dieses riesige Wesen war so groß, das es einen Schatten warf und sich dadurch selber unerkennbar machte. Abrupt blieb es stehen und drehte sich zur Wand an seiner Seite zu. Jetzt sah Rialla auch das dort Gitterstäbe eingefasst waren. Erschrocken erkannte sie einen nackten menschlichen, zierlichen Fuß hinter den Gitterstäben und legte sogleich eine Hand auf Woogis Maul, da er einen geschockten Laut von sich hören ließ.

Das Monster rüttelte kräftig an den Gitterstäben und brüllte grollend in das Loch hinein. Dann zuckte er zurück als hätte er sich verbrannt und jaulte schmerzvoll auf.

„Verschwinde bloß, Du Ungetüm“, hörten sie beide eine Frauenstimme rufen. Rialla erkannte die Stimme sofort: „Elaine“! Endlich hatte sie ihre Freundin gefunden! Ungeduldig wartete sie darauf, das dieser Riese endlich verschwand. Im Moment stand er noch unschlüssig vor dem kleinen Gefängnis und sah misstrauisch hinein.

Der kleine Woogi zitterte heftig am ganzen Leib. Der Riese gab noch ein Brüllen von sich, in dem er seinen Kopf nach vorne beugte, sein grässliches Maul aufriss und sein kräftiges Gebiss entblößte. Allerdings hatte er einen Sicherheitsabstand eingehalten. Das genügte ihm dann anscheinend als Einschüchterung, er wandte sich von ihr ab und stapfte davon.

Das war ein Stichwort für Rialla, sie stürzte sofort an die Gitterstäbe, klammerte sich an diese und rief leise: „Elaine, Elaine bist du es?“

Sogleich kam auch Elaine ganz nahe an die Gitterstäbe und fasste hindurch um ihre Hände auf Rialla´s Arme zu legen. „Ja, ich bin es! Was machst du hier? Was ist passiert?“, überhäufte sie Rialla gleich mit Fragen.

„Sag mir erst ob es dir gut geht“, blockte Rialla besorgt Elaines Fragen ab.

„Das siehst du doch“, antwortete Elaine schlicht. Aber bevor beide noch etwas sagen konnten, wurden sie von jaulendem Heulen unterbrochen. Entsetzt schauten sie beide neben Rialla auf den kleinen Woogi, der diese Laute von sich gab.

„Oh, ist das rührig“, schluchzte er.

„Reiß dich zusammen, sonst kommt dieses Monster zurück“, fuhr ihn Rialla an, während sich Elaine schütteln konnte vor Lachen.

„Willst Du mir deinen neuen Freund nicht vorstellen“, fragte sie dann.

„Oh, das ist Woogi. Er half mir hierher zu finden“, erklärte Rialla beinahe nebensächlich. Dann stellte sie auch Elaine vor: „Woogi, das ist meine Freundin Elaine, nach der ich gesucht hatte!“

Konzentriert betrachtete sie sich dann die Gitterstäbe und das Schloss daran. Elaine ließ sich wieder zurück sinken.

„Es ist absolut ausbruchsicher, noch nicht einmal mit meiner Feuermagie konnte ich etwas erreichen.“

Verzweifelt zerrte Rialla an den stählernen Stäben. Traurig und teilnahmslos sah Elaine ihr dabei zu.

„Komm schon Elaine, hast du Deinen Kampfgeist verloren“, forderte Rialla ihre Freundin auf,“ hilf mir!“

Mit den Fäusten hämmerte Rialla auf das Stahl ein. Elaine sprang sofort heran und versuchte sie davon abzuhalten.

„Hör auf damit. Hör sofort auf, du tust dir weh“, schrie sie dabei. Endlich gelang es ihr Riallas Arme zu erfassen und sie festzuhalten. „Beruhige dich. Wir müssen einen kühlen Kopf bewahren“, sprach sie auf die überdrehte Rialla ein, „Hast du nicht einen Dolch dabei, damit könnten wir vielleicht das Schloss knacken?“

„Wie wäre es mit einem Schlüssel“, quiekte Woogi. Erstaunt sahen sie auf ihn hinab. „Ich weiß wo, habe Menschen beobachtet, wo sie Schlüssel versteckt“, berichtete er fröhlich.

„Na, dann her damit“, forderte Rialla ihn auf.

Und als er davon huschte, sagte Rialla zu Elaine: „Er überrascht mich immer wieder.“ Tatsächlich kam Woogi mit einem Bund Schlüssel wieder. Überwältigt schüttelten Rialla und Elaine ihre Köpfe, als sich tatsächlich das Schloss öffnen ließ!

„Hey, du bist wirklich ein großer Helfer“, lobte ihn Rialla, hob ihn hoch und wirbelte ihn um sich. Er taumelte, nachdem sie ihn wieder absetzte und gluckste: „Bäh, ist mir jetzt schlecht.“

Ihre Freude über Elaines Freiheit währte aber nicht lange, denn schon polterte der Schattenwächter heran. Der ahnte schon, das hier irgend etwas geschehen war. „Wer oder Was sind diese Schattenwesen überhaupt“, überlegte Rialla noch laut. Aber Elaine zog sie energisch mit sich.

„Also, ich möchte sie momentan nicht kennen lernen, mir reichte es eingesperrt worden zu sein“, erklärte sie bestimmt. Und als der Schatten in der Ferne dann an Form zu nahm und schneller wurde, fingen sie an zu rennen.

„Siany, jetzt . Du musst uns zurückholen. Zeig uns den Weg“, schrie Rialla.

„Was redest du, wie sollte Siany das können“, wollte Elaine verständnislos von ihr wissen. Sie fingen schon an zu keuchen, länger würden sie es nicht aushalten können. Aber da kamen sie zu dem kleinen Erdloch aus dem Rialla und Woogi auf den Stollen gestoßen waren.

„Hier hinein wird er uns nicht folgen können“, stellte Rialla fest.

Schnell krochen sie in den schmalen dunklen Gang. Nach einigen Metern stoppten sie erschöpft und hörten wie der Koloss an dem Gang vorbei trampelte. Erleichtert atmeten sie auf.

„Den sind wir erst mal los“, stellte Rialla fest.

„Nur zurück sind wir noch lange nicht“, bemerkte Elaine und stellte dann die Frage: „Wie hast du das gemeint, Siany soll uns zurück führen?“

Rialla berichtete ihr von dem geknüpften Gedankenfaden und Elaine überlegte kurz. Sie schüttelte aber dann mit dem Kopf. „Nein“, widersprach sie, „dadurch wüsste sie nur, wo sie dich finden könnte. Nicht umgekehrt!“

„Na wunderbar. Wie finden wir jetzt zurück!“ entfuhr es Rialla ärgerlich.

„Ihr nicht zurück gehen. Ihr hier bleiben bei Woogi“, schlug der kleine wuschelige Gnom vor.

 Sie schüttelten aber beide daraufhin verneinend den Kopf.

„Doch, wir doch jetzt Freunde. Woogi will Freunde nicht verlieren“, beharrte Woogi. Rialla und Elaine sahen sich beide vielsagend an. Unmerklich nickte Rialla Elaine zu, das bedeutete: „Rede du mit ihm. Du kannst das!“ Elaine kniete sich vor dem kleinen traurigen Woogi nieder und sprach auf ihn ein.

„Na schön“, wimmerte er nach einer Weile, „ ich weiß einen Weg nach oben. Aber Woogi nicht begeistert, er dann wieder einsam!“

Herzlich drückte Elaine den drolligen Freund an sich. Auch Rialla nahm ihn kameradschaftlich in den Arm und bat ihn dann: „ Zeig uns jetzt den Weg zurück!“

 

Ich war allein. Meine Freundinnen waren zwar körperlich anwesend aber ihr Geist war weit fort. Meine Verbindung zu Rialla bestand, und wenn ich auch nicht wusste wo sie war, konnte ich doch wenigstens sicher sein, dass sie zurückfinden würde. Ich war todmüde. Fast hatte ich ein schlechtes Gewissen weil ich müde war während die beiden viel ernsteren Problemen gegenüberstanden; aber ich hatte großes Vertrauen zu ihnen.

Die Elfen, die meine Gereiztheit bemerkt und auch verstanden hatten, hatten sich zurückgezogen. Sie hatten mir erlaubt das Feuer wieder anzufachen und ich war froh darüber. Ich konnte Grizo hören, der irgendwo außer Sichtweite stand und fraß, und beschloss auch etwas zu essen. Rialla lag neben Elaine in unserem improvisierten Zelt.

Ich setzte den Topf aufs Feuer und goss etwas Wasser hinein. Ich stellte mir ein Becher und eine Schale vor meine Decke und wartete bis das Wasser kochte. In meinem Bündel hatte ich, neben vielen anderen Kräutern, auch getrocknete Blüten die man als Tee trinken konnte, also brühte ich sie in dem Becher auf. Aus dem restlichen Wasser kochte ich mir eine Suppe mit wilden Zwiebeln, Trockenfleisch und Brennnesseln. Den Geschmack rundete ich mit einigen anderen Kräutern ab.

Während das Zeug kochte rief ich Grizo zu mir, ich kratzte seine Hufe aus und kraulte ihn ein bisschen zwischen den Ohren. Während ich aß, stand er in der Nähe und döste.

Nach dem Essen legte ich mich hin. Ich schlief, in dem Wissen dass Die Elfen mich wecken würden wenn etwas geschieht, bald neben dem heruntergebrannten Feuer ein.

Ich erwachte früh am nächsten Morgen, weil Grizo mir warm ins Gesicht atmete. Ich schob seine Nase zur Seite und sah mich um. Das Feuer war aus und die Oberelfe saß mir gegenüber. Ich wusste schon in dem Moment, in dem ich wach geworden war, dass Rialla und Elaine noch nicht zurück waren und ich war immer noch sauer, hatte aber auch etwas Verständnis für die Elfen. Es nervte mich allerdings ein wenig wie sie mir gegenüber saßen, mich anstarrten und nichts sagten.

"Kann  ich euch helfen?", fragte ich, um das Schweigen im Walde zu brechen.

Die Oberelfe war sichtlich beeindruckt: "Ich hätte eher mit einem geworfenen Stein gerechnet als mit einem Hilfsangebot von deiner Seite. Deine Erfahrung mit uns Elfen war schließlich nicht gerade positiv."

"Nun ja, ich habe eine Nacht lang Zeit zum Überlegen gehabt und kann eure Einstellung verstehen. Ich reagiere auch nicht immer besonnen, wenn irgendwem an dem mir etwas liegt Gefahr droht. Aber dumm oder uneinsichtig bin ich deswegen noch lange nicht."

"Das hat auch niemand behauptet. Eigentlich sind wir gekommen um dir zu helfen. Wir haben dir etwas zu Essen gebracht und hoffen, dass du es annimmst."

Essen? Klang nicht schlecht, ich hatte großen Hunger, da die Gedankenverbindung mir meine Energie entzog und die Elfen sahen gleich viel netter aus. Ich schälte mich aus meinen Decken und rang mir ein Lächeln ab. "Essen wäre toll... "

Auf einmal bemerkte ich vor mir zwei Holzteller und einen Becher. 

Die Elfe zeigte darauf: "Wir essen nicht das gleiche wie ihr, aber ich hoffe es ist etwas brauchbares dabei. " 

Auf dem einen Teller lagen essbare Wurzeln, auf dem anderen ein Berg geschälter Nüsse und in dem Becher war Honig.

„Das ist sehr nett und wird ein tolles Frühstück abgeben. Vielen Dank "

Die Oberelfe nickte mir erfreut zu und verschwand in den Wald, nachdem sie offenbar einen, für mich nicht hörbaren, Ruf folgte. 

In diesem Moment spürte ich etwas, ich verschluckte mich an der Nuss die ich gerade in den Mund gesteckt hatte und fing an zu husten. Rialla hatte Elaine gefunden. Jetzt mussten sie nur noch zurückkommen. Ich beschloss trotzdem noch etwas zu essen, da ich nicht wusste, wie lange sie noch brauchen würden. Als sie, nachdem ich schon länger gewartet hatte, immer noch nicht kamen, packte ich die Reste meines Frühstücks ein. Den Honig füllte ich in eine Flasche ab, die ich sonst zum Medizin mischen benutzte.

Auf einmal spürte ich die Anwesenheit der beiden. Sie waren jetzt viel Näher als vorher. Ich konnte spüren wie Rialla sich an dem Bewusstseinsfaden orientierte und immer näher kam.  Als sie ganz nahe waren ging ich zum Zelt.

Auf einmal stand auch die Elfe wieder neben mir. "Sie kommen ." , sagte sie.

Ich nickte.

Als ich im Zelt neben ihnen kniete mit einer Hand auf jeder Stirn, spürte ich, wie sie von ihrem geistlosen Zustand in einen tiefen Schlaf fielen. Jetzt konnte ich sie wecken.

Der Weg nach oben führte über eine riesige Baumwurzel hinweg, die genügend Lücken in der Erde hinterließ um an ihr hoch klettern zu können. Elaine und Rialla ließen einen tränenüberströmten Woogi zurück. Während sie dann hinaufkletterten gab Rialla schweren Herzens zu: „ Ich hätte mich beinahe an diesen Quälgeist gewöhnen können!“

Siany kniete neben ihnen als sie erwachten. Wie genau sie in ihren Körper zurückgelangt waren wussten sie nicht aber das war momentan auch nicht die Hauptsache.

„Oh Mann, bin ich froh das ihr wieder hier seid“, krächzte Siany und umarmte beide nacheinander. Ihr müsst ganz schön was erlebt haben so verwirrt wie deine Gedanken waren, Rialla."

"Das haben wir allerdings und wir mussten einen Freund zurücklassen"

"Wie meinst du das? Dort kann es eigentlich keine anderen Wesen gegeben haben. Ihr ward in einer von euch geschaffenen Welt und alles was ihr gesehen habt entsprang euren Wünschen und Ängsten. Was habt ihr eigentlich gesehen?"

Die beiden berichteten alles, was sich zugetragen hatte und aßen dabei einige Nüsse und tranken den restlichen Tee.

Nach einiger Zeit hakte Rialla noch mal nach: „Was meintest du mit selbsterschaffter Welt? Ich habe mir so etwas bestimmt  nicht ausgedacht"

"Du warst ja auch nicht die Erfinderin, das war Elaine, sie hätte sich genau so gut auf eine grüne Wiese versetzten können, aber da sie schon schlechte Vorahnungen hatte, rechnete sie mit etwas schlimmen und hat es auch bekommen. Du hingegen wurdest von den Elfen in Elaines Gedankenwelt eingefügt, hast dir aber Woogi als Helfer ausgedacht und so in deinem Unterbewusstsein den Ausweg gefunden. Es hätte noch viel länger dauern können."

Die Elfe nickte zustimmend:" Ja, das hast du gut erkannt."

Siany bemerkte den Gesichtsausdruck ihrer Freundinnen und schmunzelte: "Ihr seid enttäuscht weil es nicht real war. Gebt es zu, das war ein Abenteuer nach eurem Geschmack."

Einige Zeit später nahm die Oberelfe Rialla zur Seite: „Ich möchte euch etwas geben, um euch für euer Verständnis zu danken, und um zu verhindern, dass etwas ähnliches noch einmal geschieht. Darum gebe ich dir dieses Zeichen. Halt deine Handfläche nach oben."

Die Elfe nahm Riallas Hand und blies darüber.

Rialla zuckte zurück. "He was...?" Dann sah sie, dass die Innenseite ihrer Hand glühte. " Cool, was ist das?"

"Wind und Kälte. Es wird bis morgen Gestalt annehmen. Um es zu aktivieren  legst du einfach deine Faust aufs Herz und stellst dir vor was geschehen soll. Auch die anderen werden etwas ähnliches erhalten. Ich zeige euch nur einen Weg. Es gibt andere und mit der Zeit werdet ihr sicher weitere entdecken. Ich habe die Entwicklung nur etwas beschleunigt."

"Aha!" Rialla nickte und  dachte bei sich "Wovon redet die eigentlich?".

Sie ging zurück zum Lager, schickte Elaine zu der Elfe und als Elaine mit verwirrtem Gesichtsausdruck zurückkam, ging Siany. Als wieder alle auf der kleinen Lichtung versammelt waren, verabschiedeten sich die Elfen.

"Wir sollen bevor wir in einen Wald reiten einfach die linke Hand hochhalten?" hakte Siany zweifelnd nach.

"Ja, dann wird euch kein Waldbewohner als Bedrohung ansehen. Ich wünsche euch eine gute Weiterreise und vergiss nicht was ich dir erzählt habe. Wir werden euch jetzt verlassen und ihr könnt euren Weg morgen früh ausgeruht folgen. Schürt ruhig das Feuer, wir wissen das ihr darauf acht geben werdet."

"Ich danke euch für das Geschenk und das Frühstück" Sagte Siany, "Vielleicht sehen wir uns mal wieder"

Die Elfen lächelten, wurden durchsichtiger, es raschelte leise und schließlich lösten sie sich in leuchtende Irrlichter auf und verschwanden zwischen den kahlen Bäumen.

"Ich weiß nicht wie es euch geht, aber ich bin müde. Stört es euch wenn ich mich hinlege? Ich kann sowieso nichts anfassen, meine Hände kribbeln wie verrückt und ich habe Kopfschmerzen." sagte Siany.

"Leg dich ruhig hin. Ich werde nach Rialla auf das Feuer aufpassen und wecke dich wenn deine Wache anfängt" Sagte Elaine.

"Du siehst ziemlich fertig aus." fügte Rialla hinzu.

"Wenn ich so aussehen würde wie ich mich fühle, würdet ihr schreiend die Flucht ergreifen." Murmelte Siany während sie in das Zelt kroch.

Ihr Kopf hatte noch nicht den Boden berührt, da war sie schon eingeschlafen.

 

Licht, Feuer und Wärme? Was hatte die Elfe damit gemeint? Elaine besah ihre Handfläche. Ein schwaches Glimmen ging davon aus, aber es war kein Zeichen zu erkennen. Sie war gespannt wie sich das weiterentwickeln würde. Das Feuer knisterte und sank in sich zusammen. Elaine beschloss das es Zeit wäre Siany zu wecken und tat das auch.

Einige Zeit später saß Siany vor den glimmenden Resten des Lagerfeuers. Auch sie besah sich die Innenflächen ihrer Hände. Die Kopfschmerzen waren verschwunden, als der Schlaf ihr neue Energie brachte. In ihrer rechten Handfläche konnte sie zwei schwachblau leuchtende Wellenlinien erahnen und in der linken zeigte sich langsam ein bräunliches Dreieck. Wasser und Erde dachte sie.

Bei Sonnenaufgang sahen die Male aus wie eintätowiert und leuchteten nicht mehr. Siany fing an, die Taschen zu packen und rief Grizo zu sich. Sie lehnte sich an seine Flanke und summte das Morgenlied vor sich hin. Eine Stunde später weckte sie die anderen.

Gutgelaunt und wieder energiegeladen begaben sie sich auf die Weiterreise. Sie waren zwar recht froh, dass ihr Erlebnis im Wald noch ein gutes Ende gefunden hatte und dankbar über das magische Geschenk der Elfen, dennoch wollten sie diesen Ort so schnell wie möglich verlassen.

Fröhlich plaudernd und sich gegenseitig ihre Zeichen auf den Innenflächen ihrer Hände zeigend, wanderten sie den schmalen Weg entlang, während um sie herum die Bäume immer spärlicher wuchsen. Über die Nacht hinweg war frischer Schnee gefallen, der nun in der Sonne glitzerte. Die dichten Tannenzweige hatten keine Schneeflocke zum Waldboden durchgelassen und so hatte die dichte Schneedecke auf den Baumkronen, den Wald die ganze Zeit so sehr in Dunkelheit gehüllt dass sie jetzt sogar von dem grellen Weiß geblendet wurden.

Der Weg, den sie gingen, führte sie abwärts geradewegs in das nächste Tal, welches sich vor ihnen erstreckte. Vereinzelt ragten grauspitzige Felsen aus dem hügeligen Schnee. Indem sie vom Gebirge geradewegs in den Wald gekommen waren, hatten sie noch lange nicht die Bergkette verlassen, die sich immer noch hinter ihnen entlang wand. Die weite Schneefläche vor ihnen fiel leicht schräg ab.

Gleich nachdem sie aufgebrochen waren, hatten sie gemeinsam beschlossen möglichst schnell etwas essbares aufzutreiben. Denn von der kargen Waldnahrung waren sie alle drei nicht satt geworden und ihnen knurrte der Magen.

„Ich hatte eine Vision heute Nacht“, gab Elaine als erste gute Nachricht nach dem Aufstehen bekannt, „Ich sah fröhliche Menschen lachen und tanzen, Häuser mit Tannenkränzen geschmückt und Tafeln mit Essen in Hülle und Fülle!“

 „Hör auf“, rief Siany sofort lachend“, ich habe sowieso schon Hunger, jetzt läuft mir das Wasser im Mund zusammen bei der Vorstellung!“

Rialla hingegen sprach laut, um das intensive Geräusch ihres Magens zu übertönen: „Ach und du meinst nicht, das war reines Wunschdenken?!“

Aber Elaine beharrte auf ihre Aussage: „Nein, nein ich bin ganz sicher und wir sind gar nicht so weit entfernt!“ Und diese Worte brachten zusätzlichen Aufschwung zur Weiterreise.

Während sie also frohen Mutes und schnellen Schrittes ihres Weges gingen, zeigte Siany als erste ihren Freundinnen ihre Zeichen, die sie während der letzten Stunden Wache bemerkt hatte.

Fasziniert betrachtete Elaine die blau schimmernden Wellen und das bräunliche Dreieck, die auf Sianys Haut wie eintätowiert wirkten und strich vorsichtig mit den Fingerspitzen darüber.

„Die Symbole stehen für Wasser und Erde“, erzählte ihnen Siany.

Als Elaine ihre linke Handfläche preisgab, zeigte sich darauf ein gelbgoldener Kreis mit  einer rot-orangenen Flamme in der Mitte. „Das Zeichen steht für Licht und Feuer. Ich bin irre aufgeregt, in wie weit wir diese Magie einsetzen können und welche Auswirkungen sie haben wird“, sprudelte es nur so aus ihr heraus.

Auch Riallas Handfläche wurde begutachtet, auf ihrer befand sich ein glitzernder Stern, wie eine geeiste Schneeflocke und eine grausilberne Linie, die eine Spirale darum bildete.

„Kälte und Wind“, gab Rialla kurzangebunden die Erklärung ab.

„Hoffentlich können wir dies Nacht in einer ordentlicheren Behausung verbringen“, warf Siany fröstelnd ein, während Rialla über einen schmalen Hügel hinweg in die Ferne sah.

Während Elaine noch begeistert ihre Handflächen studierte, konnte Siany beobachten wie Riallas Nasenflügel leicht bebten, als würde sie im Wind schnuppern und ihre Augen fixierten etwas. Noch bevor Siany danach fragen musste, erklärte Rialla: „Ich sehe Rauch, wenn wir über den Hügel hinweg sind, müssten wir das Tal mit dem Dorf sehen können!“

Und tatsächlich, genau wie es erst Elaine und dann Rialla vermuteten, konnten sie vom Hügel Schemen von Hütten, in nicht allzu weiter Ferne, erkennen.

„Oh, Gott sei Dank“, entfuhr es Siany, „Zivilisation!“

 

Aus kleinen Holzhütten, die beinahe wie im Schnee eingegraben wirkten, drang überall Rauch aus den Schornsteinen, die wie kleine Quadrate aus den Schneedächern ragten. Als sie näher heran kamen konnten sie zwischen den Häusern einen mit Tannenzweigen umsäumten, freigelegten Pfad sehen. An den Seiten waren außerdem Girlanden mit kleinen farbigen Lampions aufgehängt, die leicht im Wind schaukelten. Die Fensterläden aller Häuser waren weit geöffnet, man konnte in jedem einen aufgeregten Tumult erkennen. Essensduft und Lachen drang zu Ihnen herüber. Beschäftigtes Treiben war auf dem geschmückten Pfad zu bemerken, fröhliche und rotwangige Menschen waren mit Schalen, Tabletts und Kisten unterwegs.

„Oh, riecht ihr das auch“, begann Siany zu schwärmen, während sie immer schneller voraus durch den Schnee stapfte und der treue Grizo ihr tapfer folgte, „lecker Gebackenes, mmmhhh Gegrilltes, oh und jetzt riecht es nach Braten.“

Rialla war etwas skeptischer, mit der Hand am Schwertknauf, der ihr vom Gürtel ragte folgte sie Sianys Schritten rasch. Elaine hatte Mühe ihnen zu folgen. Aber auch als sie mitten im Trubel standen, reagierte niemand auf sie. Es schien, als seien alle so mit Festvorbereitungen beschäftigt, dass alles andere nebensächlich war. Die drei Abenteurerinnen ließen sich einfach mit dem Strom treiben. Wenn sie erst mal zum Ort der Festlichkeiten kommen würden, erführen sie schon mehr.

Ein rundliches pausbackige Frau hielt Siany aus einem Fenster heraus am Ärmel fest und drückte ihre warme, duftige Pastete in die Hand. Sie roch lecker nach Apfelkuchen.

„Nimm das gleich mit, Mädchen, wenn du schon unterwegs bist. Keinen Leerlauf“, plapperte sie, dirigierte im Hintergrund der Küche ihre Helferinnen am Herd und schwang drohend mit dem Kochlöffel in Sianys Richtung, die schon am süßen Teig kosten wollte.

Kurze Zeit später hatten sie alle drei etwas in der Hand. Elaine etwas, das nach einer Schale mit Brei mit Früchten aussah und Rialla hatte ein Fass unter ihrem Arm geklemmt. Grizo trottete immer noch brav hinter Siany her, bis ihn ein schmaler Junge, mit langer Lederschürze aus der Menge zog. Siany sprang sofort hinterher, nicht bevor sie Rialla noch die Backwaren zugeworfen hatte. Aber es stellte sich heraus, das der eifrige junge Mann nur ein ruhiges Plätzchen für Grizo suchte und ihn im Stall unterbringen und versorgen wollte. Das war Siany natürlich Recht, sie half ihm dabei und fand dadurch endlich jemanden, den sie ausfragen konnte.

Auch ungefragt erzählte er schon vieles. Es stand ein, den Frostheiligen gewidmeten, Dorffest bevor, das bei Sonnenuntergang beginnen sollte. Der Höhepunkt des Festes würde darin bestehen, dass junge Leute, mit Fackeln und wehenden weißen Gewändern, durch das Dorf, den geschmückten Pfad entlang tanzten. Kinder durften vorangehen und Kerzen am Rand aufstellen, die dann von den Tanzenden entzündet wurden. Das sei ein Ritual, mit dem die Heiligen besänftigt werden sollten, um ihnen einen milden Winter zu schicken.

Hier im Dorf waren es vier Frostheilige, die von den Dorfbewohnern gefürchtet waren, da sie den eisigen und meist stürmischen Winter brachten. Mit dem Feuer und dem Tanz wollten sich die Dörfler gleich zu Anfang mit ihnen versöhnen. So gab es die Schneekönigin, die für den Schneefall zuständig war. Für die eisige Kälte war Prinz Frost da, er malte die Eisblumen an die Fenster. Bei stürmischen Nächten und sehr windigen Tagen, war Krieger Polar unterwegs und der griesgrämige Großvater Dervin heulte und jaulte bei besonders schlimmen Tagen und Nächten um die Häuser.

In der Mitte des Dorfes befand sich das Gemeindehaus, welches zum Festsaal umfunktioniert worden war. Dorthin wurden all die Speisen und Getränke gebracht und dort fand Siany auch Rialla und Elaine wieder.

Die beiden hatten sich schon um eine Bleibe für die Nacht gekümmert. Eine herzliche, mütterliche Wirtin erklärte sich bereit die Drei für einige Tage aufzunehmen. Es kämen bei den unwirtlichen Temperaturen sowieso keine Gäste vorbei, hatte sie erklärt, da bei den Schneestürmen keiner über die Gebirgskette oder durch den Wald zu ihnen kam. Und in den nächsten Tagen würde keiner beim Essen und Trinken zu kurz kommen, für dieses Fest würde jeden Sommer genug Vorräte gesammelt und aufbewahrt.

Die Wirtin, die übrigens Edda hieß, spannte Siany und Rialla gleich für die Dekoration der Speisetafeln ein, die beide sogleich ihre Chance nutzten und von jeder der angebotenen Speisen einmal probierten.

„Ich bin für das Tanzen“, erklärte Rialla sofort. Und während sie noch so mit den Musikern standen und mit ihnen scherzten und alberten, kam Elaine auch wieder zu ihnen.

„Wir wurden angeheuert, ich habe eine Aufgabe für uns während dem Festakt!“ erklärte sie strahlend den verdutzten Freundinnen.

„Moment, habe ich da etwas von Arbeit läuten hören“, grummelte Rialla.

„Und habe ich da etwa ein Wir herausgehört“, tadelte Siany,“ Du hast dich anheuern lassen. Wir feiern heute Nacht mit!“

Elaine seufzte provozierend laut. „Es geht doch nur darum ein wenig Schutz zu leisten, die Tanzenden und die Fackeln und Kerzen im Auge zu behalten“, beschrieb sie die Aufgabe.

„Mach was du für richtig hältst“, gab ihr Siany zur Antwort, „ich habe nicht vor, mich für so etwas herzugeben. Zumindest nicht heute Nacht, mir stecken die letzten Nächte im Wald noch in den Knochen!“

Rialla stimmte Siany zu und stellte Elaine die Frage: “Hast du nicht auch erst mal genug von den Aufregungen?“

Elaine zuckte mit den Schultern und sah verlegen auf ihre Füße. „Also ich habe schon zugesagt, da Rheinem so dringend Hilfe braucht und mich um Unterstützung bat“, gab sie zaghaft zu.

„Wer?“, fragten Siany und Rialla zugleich.

„Na, Rheinem Flo. Er kümmert sich um die Sicherheit hier im Dorf“, berichtete Elaine wie selbstverständlich. Rialla rieb sich die Augen und Siany gähnte absichtlich.

„Na ist ja prickelnd!“, bemerkte Siany, „verschone uns damit, es klingt nicht unbedingt interessant!“

Rialla nickte nur dazu und fügte hinzu: „Du tätest auch besser daran, dich zu amüsieren statt mal wieder die Arbeit von anderen zu übernehmen!“

Elaine seufzte leicht und sagte dann: „Wie ihr meint!“

Siany stupste sie freundschaftlich in die Seite und meinte aufmunternd: „Komm lasst uns erst mal etwas trinken gehen, dort drüben ist ein  Schanktisch aufgebaut!“

Rialla hakte sich sogleich bei ihr ein. „Gute Idee, ich habe mächtigen Durst von dem ganzen süßen und gut gewürzten Kram.“

Hinter dem Schanktisch stand der junge Mann, der sich vorher um Grizo gekümmert hatte und winkte ihnen fröhlich zu. Doch bevor sie zu dritt bei ihm ankamen, zog der vermeintliche Rheinem Elaine beiseite.

„Ich bin gleich zurück, wir gehen nur kurz den Tanzpfad entlang“, rief Elaine ihren Freundinnen zu und verschwand in der Menge. Ihre Freundinnen schüttelten nur die Köpfe.

„Sie experimentiert mit ihrem neuen Feuerelement“, flüsterte Rialla Siany zu.

„Hoffentlich nicht über die ihre Grenzen und nicht unbedingt öffentlich“, sorgte sich Siany.

Während der junge Mann, der sich ihnen als Benjamin vorstellte, ihnen gewürzten Apfelmost einschenkte, erzählte er ihnen, das die Dorfgemeinschaft nicht begeistert sei, von dem neuen Sicherheitssystem. Energisch hieb Rialla auf den Tisch. „Jetzt ist aber Schluss mit dem Thema, abgemacht?“ Und damit hatte sie ein wahres Wort gesprochen.

Benjamin stellte sich als sympathischer, und humorvoller Unterhalter heraus und so verging die Zeit ziemlich schnell. Er müsse in ein paar Tagen Besorgungen in einer größeren Stadt machen, ein paar Tagesreisen von hier, berichtete er ihnen. Ihm war ein wenig bange bei der Vorstellung, denn es hatte sich noch keiner bereit erklärt mit ihm zu kommen. Aber Siany und Rialla waren gleich einer Meinung, als sie ihm ihre Begleitung anboten. Da eine größere Stadt, gleich als nächstes auf ihrem erdachten Reiseplan stand.

Bald stellte sich die Tanzprozession vor dem Eingang auf, Elaine war noch nicht wieder aufgetaucht. Plötzlich erschien ein untersetzter, halbglatziger, wichtigtuerischer Mann zwischen den schon freudig Wartenden.

„Wir haben eine Hexe hier in unserer Gemeinschaft aufgenommen! Sie ist eine Hexe, eine Bedrohung für uns. Wir sollten sie heute opfern, sie verhext uns sonst noch alle!“ ,versuchte er laut aufzuhetzen.

Rialla und Siany zuckten zusammen. Sie ahnten was dies bedeutete und rissen entsetzt die Augen auf. Als Elaine dann mit Rheinem am Eingang auftauchte, zeigte der aufgeregte Mann mit ausgestrecktem Finger auf sie.

„Da ist sie, sie ist gefährlich! Sie ist eine Hexe. Eine Feuermagierin“, schrie er dabei.

Doch Rheinem stellte sich gleich vor sie und macht eine beschwichtigende Geste in die Richtung des Aufhetzers. „Reden sie kein Unsinn!“ beruhigte er ihn und von der Seite zog die großgewachsene Bürgermeisterin den Aufrührer mit strafender Miene aus der Menge. Die Übrigen hatten diesen Vorfall sofort als Unsinn akzeptiert und widmeten sich wieder dem Festakt. Aber auch Elaine wirkte sehr verunsichert und verwirrt.

Rialla und Siany beobachteten noch, das die wichtige Frau und der Ankläger ein ernstes Gespräch führten und die Frau Elaine einen besorgten Blick zuwarf. Die Unterredung endete damit, das die Bürgermeisterin ihm zunickte und sie dann auseinander gingen.

Als Elaine sich zu ihren Freundinnen durch die Menge kämpfte, raunte sie ihnen in knappen Sätzen zu: „Ich habe einen Lampion entzündet und wieder gelöscht, für eine Probe ob auch keine Brandgefahr von ihm ausgeht. Der komische kleine Mann, hat beobachtet wie ich dies alleine mit der Kraft meiner Hände schaffte und er hat außerdem das Mal gesehen. Die Flammen haben die Innenfläche meiner Hand erleuchtet und so wurden auch das Zeichen sichtbar.“

„Du musst vorsichtiger sein“, zischte Siany scharf aber auch sorgenvoll zurück.

Elaine nickte beschämt und gab zu: „Ich habe nicht mehr daran gedacht, wie andere Menschen über unsere Magie denken!“

„Wir müssen halt aufpassen“, beschwichtigte Siany, die anderen beiden, „solange es nur ein Querdenker hier unter den Dörflern gibt, haben wir ja nicht all zu viel zu befürchten.“

Dann waren die Kinder mit dem Verteilen von den Kerzen endlich fertig und kehrten mit rotleuchtenden Wangen zurück und der Tanz mit den Fackeln begann.

Die Tänzer bildeten den Anfang und zur Unterstützung schritten die Musiker hinterher. Trommelwirbel und schriller Flötenpfiff brachten die Tanzenden zum Wirbeln.

Die Zuschauer, wie auch Siany und Rialla folgten den Musikanten auch mehr oder weniger tanzend und hüpfend. Ganz zum Schluss folgte Elaine, die darauf achtete das kein größeres Feuer ausbrach. Das hatte sie mit Rheinem abgesprochen, der schon weiter vorn am festgelegtem Tanzpfad stand und die Tanzenden beim Vorbeiziehen beobachten sollte. Erst als auch sie wieder zum Festsaal kam, in dem die Dorfbewohner schon wieder ausgiebig feierten erwachte sie aus ihrer Konzentration über die Fackeln. Aber auch erst nachdem Siany sie unsanft am Arm rüttelte und wissen wollte: „Hey, alles in Ordnung mit dir? Du hast aber lange gebraucht!“

Elaine wischte sich mit einer Geste über die Augen und meinte: „Ja, ich war nur etwas gedankenversunken!“

Die Feiernden forderten bald laut nach Siany und ihrem Gesang, nachdem sie einige Kostproben dargeboten hatte. Mit unschuldigem Schulterzucken und einem verlegenem Grinsen begab sich Siany wieder in die Mitte des Saales. Und während Rialla Elaine zum Schanktisch zog, erklärte sie ihr, das Siany schon einiges vorgetragen hatte und die Dorfbewohner einfach nicht genug davon bekommen konnten.

Drei Tage lang blieben die Freundinnen in dem gastfreundlichen Dorf und wurden auch von keinem Hexenprozess belästigt. Rialla verstand sich gut mit Benjamin und wie verabredet machten sie sich zusammen auf den Weg in die nächste Stadt. Ein kleines Fuhrwerk, gezogen von einem Maultier trug die Waren die Benjamin verkaufen und tauschen wollte. An dem geschnitzten Spielzeug arbeitete fast jeder Mann im Dorf, wenn es im Winter zu kalt  für andere Beschäftigungen wurde und die Familien sich um den Ofen versammelten. Der Rest der Ladung bestand aus kunstvoll bestickten Deckchen und Strickwaren, die die Frauen herstellten.

Sie zogen vier Tage lang durch die malerische Winterlandschaft, dann konnten sie die Stadt riechen.

„Buäh, ich hoffe das ist nicht der Duft der großen weiten Welt!“ beschwerte sich Rialla.

„Im Sommer ist es viel schlimmer. Ich verstehe nicht das manche Menschen es toll finden in einer Stadt zu leben.“ Erklärte Benjamin.

Siany warf ein. „Richtig große Städte stinken nicht so sehr. In denen gibt es Abflüsse für Schmutzwasser und Abfalldienste. Solche kleinen Städte können sich das aber meistens nicht leisten und Menschen sind anpassungsfähig, sie gewöhnen sich an alles. Auch an Gestank.“

Sie folgten dem Benjamin der den Wagen zum Marktplatz lenkte und ihn in ihrer Obhut zurückließ. Er ging zum Marktaufseher und fragte nach einem Stellplatz. Als alles geregelt war kam er zurück und sie suchten zusammen ein Gasthaus. Der Markt begann erst am nächsten Tag.

Das Gasthaus der Stadt war eher eine Taverne und schon am frühen Abend war sie angefüllt von angetrunkenen Kerlen die sich nach Abwechslung sehnten. Siany, Rialla und Elaine verhielten sich so unauffällig wie möglich und setzten sich in eine Ecke. Benjamin war auf dem Zimmer geblieben und bewachte seine Handelsware.

Unauffällig sein nütze nicht viel. Im Winter waren nur wenige Reisende unterwegs und sie gerieten bald in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.

Siany und Rialla unterhielten sich leise, Elaine hörte zu. Sie beschlossen auszutrinken und sich dann in ihr Zimmer zurückzuziehen, bevor irgendwer auf die Idee kam sie anzusprechen.

Zu Spät! Ein großer Mann trat an den Tisch und sprach ausgerechnet Siany an: „Hallo.“ Er wusste nicht weiter.

Siany sah ihn an und erwiderte lächelnd: „Hallo. Kann ich dir irgendwie helfen?“

Elaine rutschte halb unter den Tisch und Rialla sah den Mann erst an. Der wurde nervös und fragte: „Darf ich mich setzen?“

Siany sah ihre Freundinnen an und die nickten, also sagte sie: „Sicher doch, wie war doch gleich dein Name?“

Erleichtert setzte sich der blonde Riese und sagte: „Ich bin Balbus. Möchtet ihr noch etwas trinken?“ Er winkte die Kellnerin herbei.

Rialla und Elaine lehnten ab. Siany sagte: „Ich nehme hiervon noch einen.“ Sie war sich nicht sicher was es war, was sie da trank, aber es erinnerte sie an Branntwein, schmeckte aber besser.

„Das ist dann dein fünfter.“ Flüsterte Rialla ihr zu.

„Ich weiß, aber um mich brauchst du dir keine Sorgen zu machen.“ Dann wandte sie sich an Balbus: „Mein Name ist Siany und das sind meine Freundinnen Rialla und Elaine. Wir ziehen Richtung Süden und was machst du so?“

„Ich bin Händler.“

„So? Womit handelst du denn?“

„Mit Spielzeug.“

Rialla starrte ihn an, als sei er gerade vom Himmel gefallen und Elaine grinste und rutschte noch etwas weiter unter den Tisch.

Siany versicherte sich: „Mit Spielzeug?“ Balbus nickte.

„Du siehst nicht aus wie ein Spielzeughändler!“ stellte sie dann fest. Dann erinnerte sie sich an ihre Manieren und sie fügte hinzu: „Aber dein Beruf macht dir sicher viel Freude?“

„Ja, das tut er. Kinder sind immer so glücklich wenn sie Spielzeug bekommen.“

„Wir werden morgen auf dem Markt auch Spielzeug verkaufen.“ Erzählte Siany, „Vielleicht treffen wir uns dort wieder.“

„Seid ihr auch Händler?“

„Nein, wir haben andere Berufe gewählt. Ich bin Heilerin, Rialla ist zur Kriegerin ausgebildet worden und Elaine ist Gärtnerin. Aber wir begleiten einen Mann aus den Bergen, der die Winterproduktion verkaufen will.“

Siany unterhielt sich mit Balbus über Spielzeug und Rialla und Elaine fanden das Gespräch so langweilig, dass sie sich verabschiedeten und ins Bett gingen. Siany redete noch lange mit Balbus und verabredete sich zu einem Treffen am nächsten Morgen. Sie wollte ihm Benjamins Waren vorführen, vielleicht konnte er etwas für seinen Laden gebrauchen.

 

Ein eisiger Windhauch zog durchs Zimmer, als Elaine am nächsten Morgen schwungvoll die Fensterläden aufzog. Sie blinzelte gut gelaunt in die aufgehende Sonne, nahm einen tiefen Atemzug der frischen Stadtluft, wurde grün im Gesicht, geriet ins Taumeln und schmiss das Fenster wieder zu. Siany fuhr verschlafen vom Kopfkissen hoch.

„Willst Du das ich einen Herzinfarkt bekomme, erfriere und ersticke – uuuaaaäähh“, maulte sie mit halbgeschlossenen Augen.

Elaine stützte sich mit einem Arm am Fensterrahmen ab und mit der anderen hielt sie sich den Bauch. „Guten Morgen erst mal!“ murmelte sie. Nach wenigen Augenblicken war sie aber wieder so weiß wie eh und je – zumindest nicht mehr grün. Siany sah ihr blinzelnd zu, wie sie dann zu ihr herüber schlenderte und sich an das Fußende ihres Bettes setzte.

„Wie spät ist es denn?“ fragte Siany wieder mit geschlossenen Augen, während sie sich zurück an ihr Kopfkissen schmiegte.

„Zeit zum Aufstehen!“ zwitscherte Elaine motiviert.

Siany öffnete nur ein Auge: „Jetzt schon?“ brummte sie.

„Rialla ist schon mit Benjamin auf den Marktplatz, den Stand aufbauen. Sie hat sich freiwillig angeboten, gleich in der Früh mit ihm mitzugehen um zu helfen“, berichtete Elaine ihr. Siany brummte nur zur Antwort, schloss die Augen wieder und drehte sich auf die Seite, die Bettdecke ganz bis unters Kinn gezogen.

Elaine beugte sich über sie: „Ich habe Rialla gesagt, wir würden mit heißem Tee und Frühstück nachkommen“, erklärte sie auffordernd.

Zunächst kam von Siany ein zustimmendes „mmmhhh“, doch dann schwieg sie und es war eine Weile absolut still.

Elaine runzelte die Stirn, sah erwartungsvoll auf die scheinbar schlafende Siany und erwartete schon ein leises Schnarchen zu hören bekommen.

„Geh schon mal vor, ich komme dann später nach“, nuschelte Siany schließlich schlaftrunken.

Elaine machte sich schulternzuckend zum Gehen bereit, doch als sie die Tür öffnete, kam von ihr ein überraschtes: „Oh?!“

Siany richtete sich auf. „Was?!“ wollte sie sofort wissen.

„Hier hängt etwas an der Tür“, erklärte Elaine und kam mit einem rundlichen Gegenstand aus Stein wieder an Sianys Bett. „Eine Nachricht hängt daran, es ist für Dich!“

Siany rieb sich den Schlaf aus den Augen und streckte die Hand danach aus. Neugierig nahm sie die faustgroße Scheibe entgegen, drehte sie inspizierend in den Händen und forderte Elaine auf die Nachricht vorzulesen.

„Danke für Deine Bekanntschaft! Einen sonnigen Start in den Tag, wir sehen uns! B.“ las Elaine mit fragendem Unterton in der Stimme vor.

Die Scheibe bestand aus zwei Hälften, die in der Mitte scheinbar verbunden, aber durch einen Spalt quer halbiert war. Darin war eine Kordel aufgewickelt.

„Sieht aus wie ein Quarz, aber ein sehr schöner und mit Sorgfalt bearbeitet. Er ist gar nicht so schwer“, kommentierte Siany, während sie ihr Geschenk in der Hand wog. Es war ein weißer Stein mit grünlich blauem Schimmer, grob behauene Oberfläche.

„Ein Talisman?!“ war Elaines Vermutung.

„Ein Handspielzeug!“ nahm Siany an.

„Dann war der Überbringer schon früh unterwegs“, bemerkte Elaine.

„Weißt du“, sagte Siany nun munter, „du hast Recht, es ist jetzt an der Zeit aufzustehen. Lass uns vom Wirt Tee und ein paar belegte Brote mitnehmen und zu unseren fleißigen Markthändlern gehen, vielleicht warten sie schon sehnsüchtig auf uns?“

 

Gesagt, getan, als sie an dem Marktstand ankamen, sprang Rialla sofort auf sie zu: „Da seid ihr ja auch endlich! Siany, nach dir wurde schon gefragt!“

„War Balbus hier?“

„Ja, er war vor einiger Zeit hier und hat Ausschau gehalten. Er musste aber wieder zurück in seinen Laden. Er hat gesagt er kommt in seiner Mittagspause noch mal vorbei.“

„Aha. Und, habt ihr schon etwas verkauft?“

„Ein paar Holzpferdchen und eine Puppe.“

„Es sind schon viele Leute da.“ Bemerkte Rialla.

„Ja, und passt besser auf eure Taschen auf. Hier sind an Markttagen immer Beutelschneider unterwegs.“ riet Benjamin.

„Ich hab das Geld und mir hat noch nie jemand etwas gestohlen. Benjamin, ich habe gestern mit Balbus geredet, er würde dir alles abnehmen, was du in die Stadt bringst und in seinem Laden verkaufen, wenn du mit einigen Bedingungen einverstanden bist.“

„Das wäre ja großartig. Was für Bedingungen?“

„Nichts unmachbares. Geh am besten in seinen Laden und sprich mit ihm, wir verkaufen hier für dich weiter.“

„Ich gehe sofort los. Die Preise kennt ihr?“

Rialla nickte und Benjamin zog ab.

„Habt ihr was zu Essen mitgebracht? Ich hab Hunger.“

„Natürlich. Elaine, was ist auf den Broten?“

„Sieht aus wie Fisch.“

„Fisch? Uäh!“ Die Abscheu stand Siany ins Gesicht geschrieben „Ist ja widerlich.“

„Nö, is lecker.“ Rialla redete mit vollen Backen und Elaine hielt Siany ein Brot unter die Nase.

„Nimm das weg, bäh.“ Siany wich dem Brot aus „Und dabei habe ich solchen Hunger. Könntet ihr mir nicht etwas anderes besorgen, während ich auf den Stand achte?“

„Klar, ich wollte mich sowieso umschauen, komm Elaine.“ Die beiden verschwanden im Gewühl und Siany betätigte sich als Marktfrau und verkaufte Puppen und hölzerne Tierfiguren.

Auf einmal stand ein kleines Mädchen vor ihr. An der Hand hielt sie einen noch kleineren Jungen der weinte.

„Na, habt ihr euch verlaufen?“ Siany trat hinter dem Stand hervor und suchte in ihrer Tasche nach einem Taschentuch. Das kleine Mädchen nickte und sah aus, als ob es auch gleich anfangen würde zu weinen. „Na na, nicht weinen. Ich helfe euch eure Mutter zu finden, wir müssen nur kurz warten bis jemand auf den Stand aufpassen kann.“

Der Junge heulte unbeeindruckt weiter. „Kommt mit nach hinten, nicht das ihr mir auch noch verloren geht, ich heiße übrigens Siany.“ Siany nahm die beiden an der Hand und führte sie hinter den Stand. Dann nahm sie eine kleine Holzfigur und zeigte sie ihnen. „Wisst ihr was das ist?“

„Ein Pferd?“

„Hm fast.“

„Ein Einhorn?“

„Nicht ganz. Es ist ein Pegasus.“ Siany senkte die Stimme und der Junge hörte auf zu weinen, weil er sie hören wollte.

„Was ist das ein Pegasus?“ schniefte das Mädchen.

„Das ist ein ganz seltenes Tier. Er sieht aus wie ein Pferd aber er hat Flügel und er schlüpft aus Eiern...“

„Wie ein Vogel!“

„Ja genau, man kann auf ihm hoch durch die Lüfte reiten und vielleicht sogar den Winddrachen treffen, aber nur wer ein gutes Herz hat darf aufsteigen. Von einem bösen Menschen würde sich ein Pegasus nicht mal berühren lassen. Wisst ihr wie die Wolken von oben aussehen?“

Die beiden machten große Augen und schüttelten ihre kleinen Köpfe.

„Sie sehen aus wie geschlagene Sahne und wenn die Sonne untergeht sehen sie aus wie Himbeercreme.“

„Kann man sie denn essen?“ meldete sich zum ersten Mal der kleine Junge.

„Nein, wenn man sie anfasst, sind sie bloß kühl und feucht, aber überlegt mal, wie viel sie von der Welt gesehen haben, als sie über sie hinweggeflogen sind. Auch wenn kein Mensch weiß wo man einen Pegasus finden kann, die Wolken wissen es bestimmt. Vielleicht verraten sie es euch wenn ihr ganz leise seid und ihnen zuhört.“ Siany legte eine Hand hinter ihr Ohr und lauschte in Richtung Himmel. Die beiden Kleinen taten es ihr nach.

„Ich höre nichts.“ sagte der Junge.

„Ich höre Mama rufen.“ Das Mädchen sprang von Sianys Schoß. Im gleichen Augenblick tauchten Elaine und Rialla auf. Siany stand auf und hob en Jungen auf ihren Arm. Elaine kannst du kurz auf den Stand aufpassen? Ich habe zwei Kinder gefunden.“

„Klar. Geh nur.“

Siany folgte dem kleinen Mädchen und auf einmal stand Rialla neben ihr: „Hier, du hattest doch Hunger.“

„Danke, behalt es noch einen Moment.“

„Da seid ihr ja!“ Eine aufgeregte Frau kam auf sie zu und das kleine Mädchen rief: „Mami, Mami sieh mal ich habe von Sjani einen Pegasus bekommen.“

Siany reichte der Frau den Jungen: „Ich habe sie an unserem Stand gefunden, sie hatten sich verlaufen.“

„Ich hatte sie nur einen Moment aus den Augen gelassen. Vielen Dank für eure Hilfe. Hier...“ sie kramte in ihren Taschen und holte ein Silberstück hervor „Für den Pegasus.“

„Vielen Dank. Auf Wiedersehen ihr beiden und  denkt daran, genau zuhören!“

Die beiden plappernden Kinder verstummten sofort und hörten mit ernster Mine den Wolken zu, Siany lachte und ging dann mit Rialla zurück zum Marktstand. Unterwegs aß sie die köstlichen Käsebrote.

„Was hast du ihnen erzählt?“

„Das die Wolken ihnen vielleicht verraten, wo sie einen Pegasus bekommen können.“

„Ich habe damals tagelang die Wolken beobachtet und ihnen zugehört.“

„Ich etwa nicht? Unsere Eltern haben sich bestimmt auch gefreut dass wir so ruhig waren.“

Grinsend gingen sie zurück zum Stand und erfuhren das Balbus und Benjamin sich einig geworden waren.

„Wir sollen jemanden herschicken, der an dem Markttagen den Stand übernehmen kann. Dann laufen die Geschäfte im Laden und hier draußen. Balbus behält ein zehntel des Erlöses und wir können jederzeit neue Ware anliefern. Das war eine gute Idee Siany.“
„Klasse, ich liebe es wenn ein Plan funktioniert“, freute sich Siany, „ich habe nur gute Ideen!“
Rialla knuffte sie in die Seite.
„Wofür war das denn“, beschwerte sich Siany scherzend. „Deine guten Ideen kenne ich!“, lachte Rialla.
„Was“, wollte Siany sofort wissen, „war jemals etwas Schlechtes daran!“
Rialla rollte mit den Augen und wollte schon was erwidern, da winkte Elaine sie von der anderen Seite des Marktplatzes zu sich. „Kommt, ich habe einen interessanten Laden entdeckt!“ rief sie. Sie überließen Balbus und Benjamin wieder das Geschäft, verabredeten sich für den Abend mit Ihnen und überquerten den Platz.
Als sie bei Elaine ankamen, führte diese die beiden in eine kleine schmutzige krumme Seitenstraße. „Im hintersten Winkel, ist ein duftiger Kräuterladen unten im Keller. Da gibt es viel zu sehen und zu riechen! Die runzelige Frau, hat mich, gleich als ich vor der Tür stand, mit sich hinein gezogen und wollte mir alles zeigen. Da habe ich ihr gesagt, das meine Freundinnen auch mit dabei sein sollten!“, berichtete Elaine mit leuchtenden Augen und fügte verschmitzt hinzu: „Dort gibt es bestimmt für jede von uns ein Kraut!“
„Zum Einreiben, Kochen, Räuchern, Verbinden, Einatmen…“, überlegte Siany sofort und Rialla unterbrach sie prustend vor Lachen: „Rauchen meinst du, für einen tollen Rausch?!“
„Inhalieren eigentlich eher“, verbesserte sie Siany schmunzelnd.
„Für alles!“ mutmaßte Elaine.
„Da bist du ja wieder! Ich dachte schon, du wolltest nicht wieder herkommen?! Sprach die alte Frau herzlich auf Elaine ein, als sie in ein dunkles Kämmerchen eintraten, das ein zerfranstes Tuch über den Eingang hängen hatte, statt einer Tür und umfasste ihre Arme. „Und Deine Freundinnen hast Du auch mitgebracht, wie schön! Ich freue mich immer über so netten Besuch! Kommt und seht Euch um, ich habe bestimmt etwas für Euch!
Die Kammer war düster gehalten und es fiel kaum Licht hinein. Die Frau tastete an Elaines Arm hinunter zu ihrer Hand, da bemerkten sie, dass ihr Blick in die Leere ging.
„Ich bin übrigens Norla die Kräuterfrau, erzählt mir von Euch! Ich brühe Euch derweil wohltuenden Tee auf!“ Sie redete herzlich auf die Drei ein und zog Elaine mit sich. Sie schien nicht oft Besuch zu bekommen und war dankbar über die Abwechslung der neuen Bekanntschaften. Zögernd folgten Siany und Rialla ihr in die hinteren Bereiche.
Elaine unterhielt sich mit der Blinden und Rialla sah sich um. Dann setzte sie sich an den kleinen Tisch, während Siany fragte: „Stört es euch, wenn ich etwas mehr Licht anmache?“
„Nein, nur zu.“, antwortete diese und setzte ihre Unterhaltung mit Elaine fort.
Siany sah sich um und entdeckte einige Kerzen. Sie zündete eine davon am Herdeuer an und besah sich in aller Ruhe die Kräuterbündel die von der Decke hingen. Dann warf sie einen Blick in die kleinen Holzkästchen, die in den Regalen an der Wand standen. Schließlich setzte sie sich zu den anderen und bekam auch eine Tasse Tee. Siany kostete vorsichtig und ließ die Tasse erst mal stehen. Der Tee war gut, aber für ihren Geschmack viel zu heiß. Rialla grinste sie an und legte ihre Hand auf Sianys Tasse, was den Tee so weit abkühlen ließ, dass Siany einen großen Schluck nehmen konnte.
„Schmeckt euch der Tee? Ich habe lange an der Mischung gefeilt.“
„Der ist lecker, wir sollten etwas davon mitnehmen.“ Meinte Rialla und sah Siany an, die die Kasse verwaltete.
„Ja, das sollten wir … und vielleicht auch noch einige der Kräuter hier.“, fügte Elaine hinzu.
„Ich habe schon einiges gesehen. Wir brauchen Schleimwurzpulver, Okudobispilzkapseln und Wiesenblau.“
Die Frau richtete sich auf und fragte: „Blätter oder Blüten?“
„Beides.“
„Woher bekommt ihr all diese Kräuter?“ Rialla sah sich noch mal um.
„Die meisten sammle ich im Sommer, länger als ein Jahr sollte man sie sowieso nicht aufbewahren, sie verlieren dann langsam ihre Wirkung. Die anderen bekomme ich von Händlern, die den Markt besuchen und von meinem kleinen Beet hinter dem Haus. Ich habe Kräuter hier, nach denen würdet ihr in den Läden von Tiarna erfolglos suchen.“
Elaine die Riallas verwirrten Blick auffing meinte: „Sie erkennen sie am Geruch und der Blattform?“
„So ist es Kindchen, so ist es. Braucht ihr sonst noch etwas, einen Liebestrunk vielleicht?“
Elaine und Rialla drehten gleichzeitig ihre Köpfe und sahen Siany an. Dann fingen alle drei an zu lachen: „Nein, habt Dank.“
Die Alte lachte ebenfalls: „Ich wünschte ich könnte euch sehen, in dieser Stadt gibt es nicht viele Mädchen die auf einen Liebestrank verzichten würden, hätten sie die Möglichkeit einen zu bekommen.“

 

Während des Gespräches, welches Norla mit Elaine führte, hatte Norla interessiert gefragt, wo sie denn herkämen und wo sie hinwollten. Von ihrem Heimatdorf hatte die Kräuterfrau gehört und berichtete ihre Cousine sei auf der Suche dorthin unterwegs gewesen und war nie zurückgekehrt. Ihre Cousine hätte ausgeprägte seherische Fähigkeiten gehabt und hatte immer gemeint, dort würde ihre Lebensaufgabe für auf sie warten.

„Lautet ihr Name etwa: Lyra? Sie war meine Lehrerin.“ Meinte Elaine.

 Auf Norlas Gesicht breitete sich ein Lächeln aus und in ihren Augen glitzerten Tränen. Sie umfasst vorsichtig Elaines Wange mit weicher faltiger Haut und strich sanft mit den Fingerspitzen über Elaines Schläfen bis zum Kinn die Gesichtskonturen entlang.

„Ja, ich spüre Lyras Einfluss auf Dich und ich fühle eine warme strahlende Energie in dir, die ich leuchten sehe trotz meiner Blindheit. Ich kann manchmal auch Bilder sehen, die für andere verborgen bleiben vor meinem inneren Auge und diese zeigen mir dann einen Ausschnitt aus der Zukunft.“

Rialla, die andächtig gelauscht hatte, fragte gleich: „Sehen sie auch Bilder von uns?“

Die Alte schüttelte den Kopf und erklärte: „Ich sehe nicht oft solcherlei Bilder, sie kommen und gehen, wie sie wollen und meistens werden sie durch Berührung wach gerufen. Elaine allerdings hat diese Bilder auch in sich. Ich könnte versuchen, sie hervorzulocken, indem ich meine Hand auf ihre Stirn lege. Darf ich, Kleines?“

Elaine verzog die Mundwinkel, sie sah keine großen Erfolgschancen darin. Als hätte die Alte etwas geahnt, sagte sie aufmunternd: „Hab Vertrauen in Deine Fähigkeiten und zweifle nicht zuviel!“

Rialla schnaubte und stupste gegen Elaines Knie: „Siehst Du, das sage ich doch auch immer zu Dir!“ Elaine seufzte, nahm die freie Hand der Kräuterfrau und legte sie sich auf die Stirn.

„Jetzt schließ die Augen und denk intensiv an Euch drei!“ forderte Norla sie auf.

„Ich sehe nur Schwarz…“, murmelte Elaine schläfrig, …doch Moment mal, ich träume…“ Sie brach ab und ihr Atem wurde tiefer und gleichmäßiger.

 

Siany setzte sich hinzu und Rialla wies mit dem Finger über den Lippen auf Elaines Ruhephase. Die Alte runzelte die Stirn, gab aber keinen Ton von sich. Nach einem kurzen Moment nahm sie die Hände von Elaines Gesicht und diese erwachte blinzelnd. Inzwischen hatten Siany und Rialla von dem Tee gekostet.

 

„Schmeckt euch der Tee? Ich habe lange an der Mischung gefeilt.“ Fragte Norla ablenkend. Denn sie wollte nicht zu viel von der Zukunft preisgeben, die sie gerade gesehen hatte. Denn diese entwickelte sich noch, je nachdem, wie sich die Drei für den weiteren Reiseweg entscheiden würden. Sie hatte ja nur eine mögliche Richtung gesehen und diese könnte gefährlich werden, wenn sie sich die Freundinnen trennten. Aber warum sollten sie das tun?

 

Als Elaine einen großen Schluck nahm, fühlte sie die wohltuende und erfrischende Wirkung. Doch es waren keine Bilder des Traumes, der sich gerade vor ihrem inneren Auge abgespielt hatte, in ihrer Erinnerung geblieben. Schwach nahm sie wahr, das Rialla etwas von dem Tee mitnehmen wollte und fügte hinzu, dass sie noch ein paar andere Kräuter interessant fand. Noch ein Schluck von dem Tee und sie nahm wieder alles völlig klar um sich herum war. Natürlich fielen ihr ein paar Kräuter ein, die sie vorhin zum trocknen in Bündeln von der Decke hängen sehen hatte. Sie unterhielten sich über die Kräuter und Norla bot ihnen Liebestrunk an. Sie lehnten dankend ab und lachten darüber.

 

Als sie sich verabschiedeten, nahm Norla Elaines Hände noch einmal in ihre und zog sie beiseite.

„Ihr werdet noch großartige Abenteuer erleben, und eure Fähigkeiten werden euch schützen. Doch ihr werdet in Kürze auf die Probe gestellt und das Schicksal versucht euch zu trennen. Geht nicht darauf ein, denn allein auf euch gestellt nutzen euch eure noch nicht ausgereiften Fähigkeiten wenig!“

 

Elaines Hände zitterten ein wenig: „Hast Du das für uns gesehen?“ wollte sie nervös wissen.

„Du wirst es bald selber sehen, die Bilder kehren zurück… eher als du denkst!“

Elaine schluckte, drückte die zerfurchten Hände und bedankte sich.

 

Mittlerweile war es Abend geworden und sie machten sich auf den Weg zu ihrer Verabredung mit Balbus und Benjamin. Im Wirtshaus herrschte eine fröhliche und entspannte Stimmung. Die Tische waren mit kunterbunten Gesellen besetzt und sie fanden etwas weiter hinten einen freien Platz. Sie wurden von einigen Grüppchen aufmerksam begutachtet. Eine Abenteuergruppe, denen noch eine wagemutige Kämpferin im Team fehlte, nahmen Rialla in Augenschein. Fahrende Gaukler machten sich gegenseitig auf Elaine aufmerksam. Die Wirtsfrau war auf der Suche nach einer tüchtigen Hilfe für den lebhaften Betrieb für den Ausschank und Gästeunterhaltung und sah Siany als gute Wahl. Und alle drei wurden kritisch von Rittern aus dem Orden des Königs beobachtet, die in einer dunklen Ecke auf der anderen Seite saßen, da dieser sie ausgesandt hatte um eine gute Partie für seinen Sohn zu suchen.  

 

Balbus sah sie an: „Aber dass ist doch nicht schlecht und die Arbeit die euch angeboten wurde klingt doch auch gut. Ich freue mich das Siany in der Stadt bleibt.“

„Oh nein, du verstehst mich falsch, Balbus. Ich habe den Job nur für heute angenommen. Morgen Mittag wollten wir weiterziehen und etwas mehr Geld wird uns sicher nicht schaden. Oder wollt die angebotenen Arbeiten annehmen? Dann spreche ich noch mal mit der Wirtin, bleibe etwas länger und ziehe dann alleine weiter.“ Siany sah ihre Freundinnen forschend an.

Elaine schüttelte energisch mit dem Kopf: „Nein, ich bleibe bei euch.“

Rialla setzte hinzu „Ich auch.“

„Wir könnten uns auch alle der Söldnergruppe anschließen und deinen Anteil teilen. In welche Richtung wollen die denn?“ schlug Siany vor.

„Egal was wir tun oder welche Entscheidung wir treffen, wir sollten uns auf gar keinen Fall trennen. Denn ich habe das Gefühl, dass dies überhaupt keine gute Idee wäre“, sprach Elaine besorgt noch einmal aus.

„Was sollte ich denn auch ohne Euch zwei Verrückten tun. Nur mit Euch gerate ich in so irrwitzige Situationen“, wandte Rialla ein.

„Hey“, widersprach Siany, „nur zu dritt kommen wir immer wieder aus den Schlamasseln wieder heraus. Was aber nun die Söldner betrifft, zu welchen Zwecken brauchen die denn eine Kriegerin? Was für einen Auftrag haben sie?’“

„Den Auftrag haben sie vom Prinzen selbst. Das soll aber kein Ritter, geschweige denn der König, wissen“, sie hatte sich vorgebeugt und die zwei Freundinnen ebenfalls, so dass sie ganz leise sprechen konnte und kein anderer ihr Gespräch mitbekam, „die eigentliche Braut ist entführt worden und ein Bote in geheimer Mission hat den Söldnern viel Geld geboten, sie zurück zu holen. Sie sollen zum Schloss kommen und der Prinz gibt ihnen weitere Instruktionen und außerdem einen Vertrauten, der sich ihnen anschließen soll. Sie sollen noch vor dem Fest seine Geliebte befreien, das in einem Monat für ihn gegeben wird, anlässlich seiner Kröhnung!“

„Wenn er sich schon eine Braut ausgesucht hat, die er unbedingt heiraten will, dann wird der König es aber schwer haben, ihm eine Andere auszusuchen“, raunte Elaine.

„Vielleicht wollte der König ja nicht, das er diese Frau zur Königin macht“, warf Siany ein. Die Drei sahen sich bedeutungsvoll an.

„Wo wollen denn Deine lustigen Wandervögel eigentlich hin?“ wollte Rialla dann von Elaine wissen.

„Zum Fest des Königs, sie wurden zur Unterhaltung der Gäste bestellt“, erzählte diese.

„Na prima, dann haben doch beide Gruppen den gleichen Weg. Und wenn die Söldner mit den Gauklern reisen, ist es nicht ganz so auffällig, wenn sie sich dem Schloss nähern“, überlegte Siany laut.

„So machen wirs“, sagte Rialla abrupt laut, stand auf und ging noch einmal zu den Söldnern an den Tisch. Siany erwiderte Elaines fragenden Blick und nickte. Ohne Worte stand Elaine auf und begab sich zu den Gauklern.

„Was denn nu?“, fragte Balbus und Benjamin wunderte sich: “Ihr seid euch aber schnell einig!“ Sorgenvoll wollten sie dann auch wissen: „Reist ihr jetzt etwa getrennt weiter?“

Siany lachte auf: „So schnell bringt uns nichts auseinander!“

Die beiden Gruppen waren einverstanden und fanden die Idee von der interessant zusammen gewürfelten Reisegruppe nicht schlecht.

Nachdem Siany ein paar Runden Getränke ausgeschenkt hat und zu lustigen Liedern anstimmte kam gleich Stimmung in die kleine Kneipe. Einer der fahrenden Gauklern setzte sich mit einer Laute dazu und begleitete sie. Ihr froher Gesang und die aufmunternde Musik brachte wieder Leben in die Gäste, so dass Rialla und Elaine die Bedienung übernahmen, da von außen noch Neugierige dazu kamen und die Plätze an den Tischen überfüllten. Die Gaukler und Söldner hatten sich mittlerweile zusammengesetzt und besprachen ihre gemeinsame Reiseroute. So verging der Abend und die Nacht wie im Flug und am frühen Morgen sanken sie erschöpft in die Betten um wenigsten ein paar Stunden Schlaf zu bekommen bevor sie zu dem neuen Abenteuer aufbrachen.

 

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