Anmerkung der Autorin: Dies ist eine Vorgeschichte zu "Der Tod und die Elfe" ich weiß nicht, ob ich später noch mal mehr schreiben werde, aber bis zu diesem Punkt gefällt sie mir so wie sie ist.


Sie stand am Ufer und sah auf die Gräber ihrer Kameraden. Alle hatte sie gefunden und hier begraben, wo sie dem Meer nahe waren. Fischersöhne waren sie gewesen, nicht bestimmt für das Leben das ihnen die Zeit aufdrängte und dennoch hatten sie alle ihren Mann gestanden und tapfer ausgeharrt.
Sie wünschte sie wären früher gekommen. Die Elfen hatten die Schlacht entschieden, aber vorher waren schon zu viele Menschen gestorben oder von den Finstermagiern missbraucht worden.
Doch sie hatte wenigstens dafür gesorgt, dass ihre Ruhe nicht gestört wurde. Fern von den Ausdünstungen der schwarzen Magie hatte sie sie begraben, auf dass sie nicht zu Zombies werden konnten, gleich denen im Teufelsmoor.
Die Elfe sah sich um. Kein Mensch war zu sehen, nur einige Elfen, die in der Ferne Verwundete behandelten. Sie warf einen letzten Blick auf die Grabstätte und ging dann zu den anderen Elfen, um ihre Wunden versorgen zu lassen. Ein junger Mann trat auf sie zu und fragte sie, ob er ihr helfen könnte. Sie zeigte ihm ihre Wunden und er begann sie zu waschen, nähen und zu verbinden. Es war eine langwierige und schmerzhafte Prozedur. Um den Schmerz zu verdrängen dachte sie angestrengt über die Umstände nach, die sie in diese Situation gebracht hatten.

Er war hingerissen. Seit er sie das erste mal gesehen hatte, waren alle anderen Frauen der Welt unbedeutend geworden. Und jetzt endlich hatte er die Gelegenheit mit ihr zu reden. Aber sie wirkte abwesend und war nicht bereit sich mit einem Menschen zu unterhalten. Also versorgte er ihre Wunden. Er wusch den tiefen Schnitt an ihrem Bein und nähte die Wunde, dann verband er sie und auch die anderen Verletzungen an ihren Armen. Als er den tiefen Kratzer auf ihrer Wange behandeln wollte, sah sie ihn das erste mal an.

Sie hatte Mitleid mit dem jungen Mann. Er hatte mehr Leid gesehen als ein Mensch sonst in seinem ganzen Leben und auch er hatte sicherlich einige Freunde im Krieg verloren. Sie sah ihm das erste Mal ins Gesicht und erkannte ihn. Zu ihrer Überraschung errötete er und senkte den Blick.

Die Elfe sah den jungen Mann an und lächelte das erste mal seit Tagen. Ermunternd sagte sie: "Mach ruhig weiter, du kannst das recht gut."
"Dann halt bitte still. Ich bin gleich fertig." Er legte ihr eine Hand unter das Kinn und drehte sie so, dass er die Wunde auf ihrer Wange leicht behandeln konnte. Sie zuckte nicht einmal zusammen als er den Kratzer mit Branntwein auswusch. Er grinste.
"Warum lachst du ?"
"Ich habe schon Männer verarztet, die leichter verletzt waren und sie haben geheult wie ein Wolf in der Falle."
"Nun ich habe schon vor hundert Jahren erkannt, dass Weinen nichts an den Schmerzen ändert, die man empfindet."
Er war verwundert, sie war älter als hundert und er hatte sie auf 20 Jahre geschätzt.
"Ich bemerkte es, als ich das erste Mal von einem Pferd fiel." Überlegte er und strich Heilsalbe auf den Kratzer. "So, ich bin fertig, du solltest dich in den nächsten Tagen nicht übermäßig viel bewegen. Am besten suchst du dir ein Haus in der Nähe."
"Nein, ich werde mit den anderen in unsere Heimatwälder zurückkehren. Hilfst du mir bitte auf?"
"Sicher." Er bot ihr seinen Arm und sie schritt, auf ihn gestützt, zu den anderen Elfen hinüber.
Der Anführer der Elfen warf einen Blick auf sie und sagte dann: "Du kannst nicht laufen?"
Sie schüttelte den Kopf.
"Nun, dann werden wir dich tragen."
Sie warf einen Blick auf die müden Gesichter der anderen Elfen und auf den jungen Mann. Dann sagte sie: "Ich werde hier bleiben und später nachkommen."
Der Anführer nickte und legte ihr eine Hand auf die Schulter: "Dann bis bald Ephedra, wir machen uns jetzt auf den Weg."
Der Elf hob den Arm und die Gruppe sammelte sich auf dem Weg Richtung Norden; Nur Ephedra und die Toten blieben zurück. Die Elfe überlegte und fasste einen Entschluss, sie wandte sich an den jungen Mann: "Wie heißt du?"
"Ich bin Tian der Poet."
"Nun Tian, erweist du mir deine Gastfreundschaft?"

Tian führte Ephedra in die Hütte seiner Eltern. Sie waren in dem Krieg gestorben und er war ihr einziger Sohn. Er räumte etwas auf und glättete die Decke auf dem Strohsack. Dann sagte er: "Du kannst auf dem Bett schlafen, ich suche mir heute Abend einen anderen Schlafplatz. Warte einen Moment, ich komme gleich wieder."
Die Elfe sah sich in der ärmlichen Hütte um und legte ihre Waffen, bis auf den Dolch, ab. "Etwas anderes als ein Poet hätte er in dieser Umgebung auch nicht werden können." Dachte sie. Dann setzte sie sich auf den Strohsack und zog ihren Lederharnisch aus. In diesem Augenblick kam Tian zurück.

Er hatte einen Krug voll frisches Wasser geholt und im Kräutergarten seiner Mutter einige Kräuter gepflückt. Während sie ihre Schuhe auszog und etwas Wasser trank, bereitete er schweigend einen Heiltrank, nach einem alten Familienrezept. Er reichte ihr einen Becher voll und sie trank ihn, ohne das Gesicht zu verziehen. Auch er nahm einige Schlucke aber der bittere Geschmack sagte ihm nicht besonders zu. Nachdem sie gemeinsam Tee getrunken hatten, verabschiedete sich Tian und verließ die Hütte. Ephedra dachte, er schlafe in einem anderen Haus, aber Tian legte sich auf ein Lager aus Stroh vor die Tür und bewachte ihren Schlaf. Am nächsten Morgen fror er erbärmlich und deshalb machte er sich früh auf die Suche nach Feuerholz. Als er zurückkam öffnete er leise die Tür und stellte fest, dass die Elfe noch schlief. Er machte ein Feuer im Ofen und kochte noch etwas Tee. Dann bereitete er ein Frühstück für sich und seinen Gast.

Sie wachte erst sehr spät auf, aber sie fühlt sich besser. Der Schlaf hatte ihre natürlichen Selbstheilungskräfte in Gang gesetzt und die Wunden an ihrem Körper schlossen sich. Sie setzte sich auf und sah sich abermals in der Hütte um. Tian hatte Tee gekocht und ein Frühstück bereitet. Als er sah, dass sie wach war, brachte er ihr einen Becher voll Tee, etwas Brot mit Butter und ein gekochtes Ei. Dann fragte er: "Brauchst du sonst noch etwas?"
Sie verneinte und er fuhr fort: "Dann gehe ich jetzt zurück aufs Feld und schaue ob die Heiler meine Hilfe brauchen. Ich habe noch einige Kräuter gesammelt, die sie sicher brauchen können. Fühl dich hier wie zuhause. Ich bin wohl bald wieder da, du kannst dich ja noch etwas ausruhen."
Er stellte ihr noch einmal frisches Wasser neben den Strohsack und ließ sie dann allein. Kaum war er gegangen, schlief sie wieder ein.

Tian ging auf das Feld, auf dem noch vor zwei Tagen der Kampf getobt hatte und lieferte seine Kräuter bei den Heilern ab. In der Nacht waren einige der Verwundeten gestorben und er half beim Ausheben der Gräber. Danach war für ihn nicht mehr viel zu tun. Die Heiler hatten genug Freiwillige und so ging er zurück in die Hütte. Er war niedergeschlagen und eine bleierne Müdigkeit erfasste ihn, als er in die warme Hütte trat. Schließlich schlief er auf dem Boden neben dem Ofen ein.
Als er erwachte, saß die Elfe auf einem Stuhl und sah ihn an. Sie hatte die Decke über ihn gebreitet und auf dem Ofen stand ein Kessel voll Wasser. Tian setzte sich auf und rieb sich den Schlaf aus den Augen. Sein Blick fiel auf das glänzende Schwert, das an die Wand gelehnt war und auf den ungespannten Bogen, der daneben lag. Ephedra folgte seinem Blick und sagte dann: "Es gibt eine Zeit für Schwerter und eine für Poesie. Ich hoffe in der nächsten Zeit wird die Poesie mehr gefragt sein."
"Das hoffe ich auch, in meinen Händen ist ein Schwert gefährlicher für mich, als jeder Feind. Wie fühlst du dich?" Die Elfe streckte ihre Arme und schloss kurz die Augen: "Schon besser, die Wunden heilen und ich denke, du solltest die ersten Fäden ziehen. Wie geht es dir?"
"Ich habe kaum Verletzungen davongetragen, aber das Dorf ist zerstört und ich habe niemanden getroffen, den ich kannte. Sie sind wohl alle tot, gestorben unter dem Einfluss der Finstermagier."
"Auch ich habe einige Freunde verloren. Fischer aus diesem Dorf, mit denen ich Seite an Seite gekämpft habe und Clivia ist in meinen Armen gestorben, ich nannte sie seit mehr als 50 Jahren Freundin."
"Meine Eltern starben in diesem Krieg und ich kannte einige der Leute, für die ich heute Gräber geschaufelt habe, schon von Kindheit an. Der Tod hatte viel zu tun, in diesem Krieg."
"Ich habe den alten Mann Tod gesehen und er lachte, als um ihn herum die Leute fielen. Er ist ein grausames Geschöpf." Die Elfe starrte verbissen auf den Fußboden und Tian rückte näher an sie heran und griff sanft nach ihrer Hand. Sie sah ihn an und fragte: "Muss ich jetzt wieder bitteren Tee trinken?"
"Nein, zeig mir deinen Arm." Er sah, dass sich die Wunde geschlossen hatte und holte ein Messer um die Fäden zu durchtrennen, dann zog er sie vorsichtig heraus und verband den Arm neu. "Dein Bein ist aber noch nicht so weit." sagte er, nachdem er einen Blick darauf geworfen hatte.
"Nun, zumindest kann ich wieder ohne deine Hilfe laufen." Sie stand auf und ging zur Tür. "Lass uns in den Wald gehen, ein bisschen frische Luft wird mir gut tun."
Sie öffnete die Tür und ging hinaus. Er griff nach seinem Mantel und folgte ihr. Ein kalter Wind wehte und blies die Reste seines Strohlagers davon. Ephedra sah den fliegenden Halmen hinterher und sagte: "Heute nacht schläfst du mit in der Hütte. Hier draußen wirst du ja sonst krank."
Er zog den Mantel fester um seine Schultern und fragte sie: "Wenn es dir nichts ausmacht. Sag mal frierst du nicht?" "Nein, wir fühlen die Kälte nicht so wie ihr Menschen."

Der Wind wehte frisch vom Meer her und zerstob den Nieselregen zu feuchter, kalter Luft. Im Wald war kaum eine Spur des Krieges zu finden. Die Kämpfer hatten die dunkle Tiefen gemieden, denn Beherrschte durchstreiften sie.
Ephedra fragte sich, ob der junge Mann die Ausdünstungen der schwarzen Magie wohl genauso stark wahrnahm wie sie. Sie sah ihn an. Er war stehen geblieben und hatte eine Hand auf einen Baumstamm gelegt. Er verzog das Gesicht und sagte: "Das ist nicht mehr der Wald, in dem ich in einer Kindheit gespielt habe. Er ist mir fremd geworden. Können Wälder beherrscht werden?"
"Nein, aber sie verändern sich unter dem Einfluss von schwarzer Magie. Es wird mit der Zeit nachlassen. Schon in 200 Jahren wird der Wald genau wie früher sein."
Er sah sie an und sagte: "In 200 Jahren werde ich schon lange ein Teil des Waldes sein."



Noch eine Anmerkung der Autorin: Ephedra kehrte nicht zu den Elfen zurück. Tian wollte nicht in dem leeren Dorf, das voller Erinnerungen steckte, bleiben und so suchten sie sich ein Stück ursprünglichen Wald, in dem sie zusammen ein Haus bauten.